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Die biologische Uhr ist genauso individuell wie unsere Körper, meint man. Reproduktionsmediziner Dr. Johannes Ott erklärt, ob man die Fruchtbarkeit wirklich an einer Zahl festmachen kann und warum das Thema auch Männer betrifft.
Die 30 gilt als magische Zahl für viele Dinge, die zu diesem Zeitpunkt vermeintlich erreicht werden sollten: eine Karriere, eine Partnerschaft und vielleicht sogar die Gründung einer eigenen Familie. Dass dieses Konstrukt gesellschaftlich tief verankert ist, lässt sich nicht bestreiten. Selbst den aufgeklärtesten Millennials macht die Schwelle zum 30. Geburtstag zumindest kurz ein mulmiges Gefühl.
Vor allem Frauen wird dann ein Thema umgehängt, das für viele noch in weiter Ferne liegt: der Kinderwunsch. Schuld ist das Konstrukt rund um die biologische Uhr. Was ist da wirklich dran?
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Für wen tickt die biologische Uhr?
Dass Frauen nicht ewig fruchtbar sind, ist kein Geheimnis. Betroffen sind aber auch Männer, weiß Reproduktionsmediziner Dr. Johannes Ott von der MedUni Wien. Bei der Zeugung eines Kindes sind beide Teile – also Männer und Frauen – im gleichen Maß wichtig, so der Experte. „Es gibt viele Fälle, die zeigen, dass der männliche Faktor die auffindbare Ursache für einen unerfüllten Kinderwunsch ist, auch wenn die Männer noch jünger sind“, so der Mediziner.
Aber darüber spricht man(n) nicht gerne. Männer suchen tendenziell seltener medizinische Hilfe auf – schon gar nicht, wenn es um die eigene Fertilität geht. „Allerdings nimmt die Fruchtbarkeit erst wesentlich später ab als bei Frauen – etwa nach dem Lebensjahr.“ Bei Frauen ist das tatsächlich früher der Fall: „Je älter sie ist, desto niedriger ist die Wahrscheinlichkeit, auf natürliche Weise schwanger zu werden“, erklärt Dr. Ott. Die Fruchtbarkeit lasse
knapp über 30 nach. Ab 35 gelten erstgebärende Frauen als Risikoschwangere und haben engmaschigere Untersuchungen.
Eine weitere Schwelle stellt der Geburtstag dar. „Ab 40 wird es deutlich schwieriger.“ Die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, ist dann zwar gering, aber nicht ganz unmöglich. Der Grund für die verminderte Fruchtbarkeit liegt bei Frauen im Großen und Ganzen an der Abnahme der Eizellenreserve, also an der Alterung des Eierstocks: „Das ist vorprogrammiert“, so Dr. Ott.
Ein Mythos ist der Ablauf der biologischen Uhr also nicht. Allerdings ist die Spermaqualität bei Männern ebenfalls wichtig – auch in Bezug auf die Gesundheit des Kindes. „Ein höheres Alter kann auch bei Männern ein Parameter für genetische Probleme des Kindes sein“, weiß der Experte. Das Risiko einer Fehlgeburt steigt außerdem mit dem Alter der Männer und Frauen: „Die DNA-Fragmentation der Spermien ist altersabhängig. Wenn Männer auf Nummer sicher gehen wollen, müssten auch sie den Kinderwunsch möglichst früh im Leben erfüllen.“
Die Zauberformel zur Vorhersage, wie lange man schwanger werden kann, gibt es nicht.
Dr. Johannes Ott
Das Bild der männlichen Hollywoodstars, die mit 80 noch einmal Vater werden, ist also kein unbedenkliches. „Es gibt sehr viele Analysen aus der letzten Zeit, die zeigen, dass die Samenqualität in den letzten Jahrzehnten allgemein abgenommen hat“, weiß der Reproduktionsmediziner. Schuld könnten unter anderem ein ungesunder Lebensstil, Rauchen, die Belastung mit Umweltgiften wie Mikroplastik oder die schlechter werdende Mikronährstoffqualität sein.
Diese Umstände beeinflussen übrigens auch Frauen in Bezug auf die Fruchtbarkeit. „Zusätzlich können Autoimmunerkrankungen oder Endometriose hinderlich sein“, weiß der Mediziner. Alle Betroffenen über einen Kamm zu scheren sei aber falsch. Denn Endometriose ist ein komplexes Krankheitsbild, das die Fruchtbarkeit unterschiedlich beeinflussen kann: „Es geht vor allem um die Ausprägungsintensität der Erkrankung. Betrifft die Endometriose auch den Eierstock? Ist die Frau schon mal operiert worden? All diese Faktoren sind wichtig.“ Nicht jede Frau mit Endometriose ist infertil, betont der Experte. „Aber im Bestfall sollten Betroffene die Familienplanung so früh wie möglich angehen.“
Zwischen 35 und 40 ist das Alter ein Faktor, der alles andere überstimmt.
Wie wichtig sind die Gene?
An Faktoren wie Genetik könne man sich nicht festklammern, so der Experte. Hat die eigene Mutter oder Schwester Ende 30 Kinder bekommen, heißt das nicht, dass dies bei einem selbst genauso gut klappt. „Bis zu einem gewissen Grad spielt die Genetik eine Rolle, aber Aussagen dazu sind leider nicht verlässlich.“
Studien zufolge gäbe es aber Anhaltspunkte, dass das Eintreten der Wechseljahre mit dem von Mutter und Tochter ähnlich sein könnte. „Das hat aber keine genaue Aussagekraft bezüglich der Fruchtbarkeit.“ In puncto Wechseljahre ist auch die vorzeitige Menopause zu erwähnen, von der übrigens drei bis vier Prozent der Frauen betroffen sind.
Je älter eine Frau wird, desto schwieriger ist es, ein Kind zu bekommen – gerade bei Vorliegen von Erkrankungen.
Dr. Johannes Ott
Per Definition spricht man von vorzeitigen Wechseljahren, wenn diese vor dem 40. Lebensjahr eintreten. Typische Anzeichen dafür seien laut Dr. Ott die gängigen Symptome: verkürzter Zyklus, starke Blutungen, Hitzewallungen und Zyklusschwankungen. „Sind diese Anzeichen vorhanden, können Probleme mit der Fruchtbarkeit auftreten“, so der Experte. Oft höre der Zyklus dann abrupt auf. „Dann wird es auch mit einer IVF fast unmöglich, schwanger zu werden.“ Betroffen ist aber – wie gesagt – ein sehr kleiner Teil der Gesamtbevölkerung. Eine Früherkennung gäbe es nicht.
Kann man die Fruchtbarkeit messen?
Die Messung der Fruchtbarkeit durch die Bestimmung des Anti-Müller-Hormons (AMH) erfahre gerade einen Hype, sei aber umstritten: „Es wird behauptet, dass dadurch die Eizellenreserve messbar sein könnte. Gebildet wird das Hormon aber von den Eibläschen, die noch weiter reifen könnten. Die Reserve zeigt es nicht direkt an. Als einzelnen Parameter sagt das AMH zu wenig aus.“
Hilfe suchen
Bei unerfülltem Kinderwunsch sollten Paare nicht zu lange warten und Beratung aufsuchen, so der Experte: Bei regelmäßigem ungeschütztem Geschlechtsverkehr ohne Eintreten einer Schwangerschaft sollten Frauen ab 35 nach einem halben Jahr zur gynäkologischen Untersuchung und Männer ein Spermiogramm machen lassen. „Das Spermiogramm, ein Hormonstatus und das Untersuchen des Zyklus kann viel Aufschluss bringen und ist dabei sehr unkompliziert“, so Dr. Ott.
Im jungen Alter vorzusorgen, ist in Österreich ein schwieriges Unterfangen: Das Einfrieren von Eizellen ist nur aufgrund medizinischer Gründe erlaubt. Das sogenannte „Social Freezing“, also das Einfrieren der Eizellen, weil man später Kinder haben möchte oder noch keinen passenden Partner gefunden hat, ist gesetzlich verboten. „Das ist eine riesengroße Ungerechtigkeit zwischen Männern und Frauen“, erklärt Dr. Ott, denn „Samenzellen einzufrieren ist wesentlich leichter. Als Grund kann man eine relativ simple Sache angeben – zum Beispiel die Planung einer Vasektomie.“
Einige seiner Kolleg:innen engagieren sich für eine politische Veränderung in dieser Sache. Wer Interesse an den Themen Fruchtbarkeit und Frauengesundheit hat, kann von den Expert:innen der MedUni Wien im Podcast „frauen.hormone.fruchtbarkeit“ mehr erfahren.