Regretting Motherhood: Mama-Influencerin packt aus

Fotos: Marie Bleyer

Nicht nur auf Instagram werden wir täglich damit konfrontiert, auch im realen Leben wird uns von vielen etwas verkauft, was mit Authentizität meist wenig zu tun hat: das Bild der perfekten Familie. Eine Mutter, die Liebe und Sexleben, Haushalt, Familie und Beruf mit Leichtigkeit handhabt und dabei vor Mutterglück und Witz nur so sprüht – und vom Scheitern weit entfernt ist …

Ein Traum? Ja, denn die Realität sieht jedoch oft anders aus. Unter dem Hashtag „Regretting Motherhood“ berichten Frauen im Social Web, warum sie ihre Mutterschaft bereuen (gut, vielleicht nicht unbedingt am Muttertag).

Wenn Frauen ihre Mutterschaft bereuen

Wiebke Schenter aka piepmadame ist eine dieser Frauen. Sie bringt als Mutter eines dreijährigen Sohnes und einer achtjährigen Tochter mit einer großen Portion Mut und Ehrlichkeit eine willkommene Abwechslung in unseren Instagram-Feed: Sie berichtet ihrer ca. 90.000 Follower:innen großen Community, dass Mutterschaft nicht nur glatt läuft, sondern ganz viele Ecken und Kanten hat. Außerdem klärt die zweifache Mama über die Themen „Regretting Motherhood“, „feministische Mutterschaft“ und „Mental Load“ auf. Schenter gesteht offen und ehrlich: Ja, sie bereut das Mama-Werden.

Bei einem spannenden Interview durften wir einen tiefen Einblick in das Familienleben der gebürtigen Deutschen gewinnen und uns abseits von Instagram ein Bild machen – das auch in echt genauso offen und ehrlich ist wie auf Social Media. Außerdem lüften wir ein kleines Geheimnis …

Zweifach-Mama Wiebke Schenter über Regretting Motherhood

Wolltest du eigentlich immer schon Mama werden?
Wiebke Schenter: Ja, eigentlich schon. Ich habe mir mit Babysitting sogar mein erstes Taschengeld verdient. Und ich wollte auch schon immer eine Tochter haben. Früher wurde einem aber die Mutterschaft schon von klein auf eingetrichtert. Und deswegen war es eigentlich auch klar, dass ich Kinder haben möchte. Also das habe ich zumindest ziemlich lange geglaubt.

Inwiefern hat sich dein Leben verändert, seitdem du Mutter bist?
Es hat sich nichts nicht verändert. Und die Veränderung bleibt auch für ewig. Das ist halt auch das Blöde an der Mutterschaft, dass es nicht rückgängig zu machen ist. Die Partnerschaft kann man verlassen, den Job kann man kündigen, die Wohnung kann man verkaufen. Naja, und Kinder bleiben eben für immer.

Früher konnte ich mir das gar nicht vorstellen, nicht mehr das machen zu können, worauf ich gerade Lust habe. Derzeit kann ich nicht mal, wann ich muss, auf die Toilette gehen, ohne dass mein Kind schreit. Ich kann nicht einfach schnell gehen, ich muss überlegen: Geht das Kind mit, lass ich es da, gebe ich es meinem Mann usw. Das war natürlich eine enorme Veränderung.

Warum bereust du, dass du Mutter geworden bist?
Man muss das natürlich immer wieder abkoppeln und erklären, dass das nichts mit meinen Kindern zu tun hat. Das sind tolle, sympathische, lustige und schöne Menschen, und ich liebe sie. Aber diese Fremdbestimmung finde ich sehr anstrengend.

Ich war früher sehr gerne alleine, jetzt bin ich es kaum noch. Und wenn ich jetzt alleine bin, bin ich immer zu 100 Prozent auf Abruf. Würde ich einen Anruf bekommen, dass es meinem Kind nicht gutgeht, bin ich natürlich sofort weg. Dann ändern sich meine Pläne für heute und für morgen natürlich auch, dann muss ich ja beim Kind bleiben.

Außerdem ist diese unendliche Liebe sehr schwer für mich. Denn mit der Liebe kommen eben auch die ständigen Sorgen und Angst. Es belastet mich persönlich sehr, wenn es meinen Kindern nicht gutgeht. Man leidet da ja auch mit, und damit komme ich eben einfach richtig schwer klar. Zusätzlich finde ich die Erziehung sehr nervenaufreibend. Und naja, wenn ich diese Punkte jetzt einfach nicht hätte, dann wäre das nicht schlecht.

Regretting Motherhood: Hattest du dieses Gefühl von Reue von Anfang an?
Jein. Ich hatte anfangs starke Probleme mit dem Mutter-Dasein. Ich habe mich da unglaublich reingestürzt. Zuerst hatte ich schon irgendwie das Gefühl, dass das nicht die beste Idee war. Ich dachte aber, das geht schnell wieder weg.

Erst seit drei Jahren circa gestehe ich mir selbst ein, dass ich es so nicht noch einmal machen würde. Davor dachte ich, es liegt an mir. Dass ich mich nicht genug anstrenge – bei den anderen sieht es ja auch so leicht aus. Dann fragt man sich: „Warum kann ich das nicht?“ „Was mache ich falsch?“

Ich hatte dann auch unglaubliche Schuldgefühle und wollte das überkompensieren. Also habe ich echt alles für meine Tochter gemacht und sie so quasi nicht einmal aus den Händen gegeben. Da musste ich dann wirklich an meine körperlichen Grenzen kommen, bevor ich etwas an meinem Verhalten geändert hab.

Also hast du ein zweites Kind bekommen, weil dir damals noch nicht bewusst war: Du bereust deine Mutterschaft?
Genau. Man darf ja auch diese Gedanken in der Gesellschaft nicht teilen. Ich meine, man hat es sich ja auch selbst ausgesucht. Aber irgendwo hat man es ja auch vorher nicht wissen können – oder doch? Ich wollte mir das selber nicht so ganz eingestehen.

Und naja, dann habe ich auch noch meinen Sohn bekommen, da war ich einfach sehr naiv. Rückblickend kann ich schon sagen, dass die Anzeichen offensichtlich waren, das habe ich damals jedoch noch nicht wahrgenommen. Aber jetzt lebe ich auch nicht jahrelang in Scham und Schuld, ich gestalte mir trotzdem mein Leben so, dass es mir gefällt. Und ich bin auch alles in allem relativ glücklich.

Stichwort Regretting Fatherhood: Sieht sich dein Mann auch nicht so in der Vaterrolle?
Doch, sehr. Der ist super gerne Vater. Und er findet meine Meinung auch okay. Er macht mir da keine Vorwürfe.

Wie erziehst du deine Kinder?
Ich möchte natürlich, dass sie anständige Menschen werden, die sich gut in die Gesellschaft integrieren. Aber um ehrlich zu sein, ich habe überhaupt keine Lust, Süßigkeiten zu verbieten oder aufzupassen, wie lange sie vor dem Fernseher sitzen. Ich würde mich schon als ein bisschen „larifari“ bezeichnen, da ist mein Mann etwas konsequenter.

Es gibt Familien, die haben einen ganz strengen Ablauf in ihrem Leben, wir sind einfach nicht so genau. Mir ist wichtig, dass ich ein schönes Leben mit ihnen habe. Ich denke, dass sie auch durch die Vorbildfunktion sehr viel lernen. Bei den wichtigsten Sachen passe ich eh auf. Es hat auch noch kein Kind von den Süßigkeiten gekotzt.

Lebt ihr als Familie nach strikten Regeln?
Nein, gar nicht. Viele Strukturen kommen ja eh von außen – Schule, Kindergarten usw. Und da halten wir uns schon daran. Aber grundsätzlich sind wir zuhause etwas lockerer. Keine Frage, wenn das Kind krank ist, wird ohne Widerrede Medizin genommen, täglich werden die Zähne geputzt, und sie dürfen natürlich nicht auf die Straße rennen.

Aber wenn meinem Sohn am Weg zum Kindergarten die Jacke zu heiß wird, dann zieh ich sie ihm aus. Auch wenn das auf Social Media immer eine wilde Diskussion auslöst! Und wenn er zum Frühstück gerne Reis hätte und ich Zeit habe, dann koche ich eben morgens Reis. Wir haben kein Konzept – wir wurschteln irgendwie dahin.

Bekommst du viel Kritik in deinem Mama-Dasein, erst recht jetzt, wo das Thema Regretting Motherhood zu deinem geworden ist?
Naja, auf Social Media natürlich. Die Erziehung stellt gar nicht so das Problem dar, eher dieses Thema der Regretting Motherhood. Da habe ich echt schon schlimme Sachen gehört, zum Beispiel, dass man mir die Kinder am besten wegnehmen sollte.

Viele verstehen einfach nicht, dass das eine Grauzone ist. Ich lebe nicht zu 100 Prozent für das Mutter-Sein, aber eben auch nicht zu 0 Prozent. Das sehen die Menschen oft nicht.

Was würdest du dir als Mutter in Zukunft von der Gesellschaft wünschen?
Mehr Akzeptanz, Empathie und Verständnis. Einfach, dass man als Mutter ganz offen und ehrlich mit seinen Gefühlen umgehen darf. Ich möchte es schön finden dürfen und ab und zu, naja, auch einfach mal doof finden dürfen, ohne blöd angemacht zu werden.

Außerdem möchte ich nicht als „Mama von xy“ bezeichnet werden, sondern als „Wiebke mit Kindern“. Wir leben immer noch im Patriachat, das sollte sich ändern.

Worauf dürfen sich unsere Leser:innen in Zukunft in deiner Kolumne freuen?
Ich möchte die Mutterschaft entglorifizieren. Auf Instagram hab ich einen neuen Hashtag ins Leben gerufen #wirhabeneintabuzubrechen. Darum wird sich alles drehen – zu seinen freien Entscheidungen als Mutter zu stehen.