Amira Awad: Von Moderatorin zu Teach for Austria

Amira Awad über unser Bildungssystem und Chancengleichheit

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9 Min.

© Sascha van der Werf

Die beliebte ZiB-Moderatorin Amira Awad war die erste Anchorwoman mit Migrationshintergrund im ORF. Jetzt wechselt sie vom TV-Studio zurück ins Klassenzimmer.

Man „kennt“ sich aus der Ferne, dem TV und den sozialen Medien. Über letztere haben wir Amira Awad angeschrieben und gleich eine Rückmeldung bekommen. Beim Kennenlernen wird es Freundschaft auf den ersten Blick. Sie ist empathisch, selbstbewusst und zielstrebig.

Als Dreifach-Mutter blickt sie auf einen imposanten Werdegang zurück, der ist es auch der sie zu „Teach For Austria“ führt. Im Interview sprechen wir über das Bildungssystem, die zahlreichen Negativ-Schlagzeilen rund um die Schulen, die Herausforderungen denen sich Eltern, Schüler, Lehrpersonal und Politik gegenüberstehen, und erfahren mehr über ihre neue Berufung und ihr Engagement für mehr Chancengleichheit.

Sie wurden in Kairo geboren und sind mit vier Jahren nach Wien gekommen. Ist ihr Migrationshintergrund ein Ansporn für ihren Werdegang?

Amira Awad: Das ist definitiv ein Antrieb, weil ich mit dem Gefühl hergekommen bin, anders zu sein. Nicht nur im positiven Sinne. Dabei entsteht automatisch ein Bedürfnis, anzuschließen, auf das gleiche Level zu kommen, wie all jene, die schon hier sind.

Amira Awad im Interview
© Sascha van der Werf

Sie haben Rechtswissenschaften studiert und als Juristin gearbeitet. Warum Jus?

Gute Frage, ich habe einen juristischen Hintergrund in der Familie. Das hat auch eine Rolle gespielt. Ich glaube aber, letztlich habe ich die Entscheidung getroffen, weil mich Jus als Frau empowert. Ich empfinde es als identitätsstiftend.

Mir war es wichtig, meine Rechte und die der anderen zu kennen. Ich wollte wissen, wo Grenzen gesetzt werden, sowohl meine als auch die der anderen. Das Studium hat mir in meinem Leben enorm geholfen, in unterschiedlichsten Bereichen, es gibt mir Sicherheit.

Den Job als Nachrichten-Moderatorin beim ORF haben Sie angestrebt. Warum?

Ich war immer politisch interessiert, das war mit ein Grund, warum ich Jus studiert habe. Man befasst sich mit dem Recht. Und ich bin am Weltgeschehen interessiert und sehr nachrichtenaffin. Primär war es mein Interesse, möglicherweise hatte es auch eine Art von Schutzfunktion, weil in der Rolle der Nachrichtenmoderatorin ist man nicht so exponiert wie etwa im Bereich der Unterhaltung.

Das ist als dunkelhäutige Frau eine heiklere Geschichte als in der seriös wirkenden Rolle der Nachrichtenmoderatorin.

Im Rahmen von „Teach for Austria“ (TFA) stehen sie im Klassenzimmer. Worum geht es?

„Teach for Austria“ ist ein Verein, der 2011 von Walter Emberger gegründet wurde. Das Anliegen ist klar die Chancengleichheit im Bildungssystem. Akademiker:innen gehen mit der Motivation in die Schulen benachteiligte Kinder im Schulsystem zu supporten, zu empowern.

Mittlerweile herrscht bei uns ein großer Lehrermangel. Ich bin vor etwa 12 Jahren über „Zusammen Österreich“ zum Thema Schule gekommen, das ist ein Projekt des ÖIF (Österreichischer Intergrationsfonds). Als eine der
Integrationsbotschafterinnen war ich in genau diesen Schulen, die mit mannigfaltigen Herausforderungen konfrontiert sind.

Vor allem bei Kindern mit sprachlichen Defiziten aufgrund ihres Migrationshintergrundes. Ich habe viele Kinder gesehen und es ungerecht empfunden, dass sie nicht in einer AHS sitzen. Das waren talentierte, interessierte, sozialkompetente Kinder.

Hätten sie einen anderen sozioökonomischen Hintergrund, wären sie in einer AHS. Ich wollte etwas beitragen, ich wusste, ich möchte bleiben. „TFA“ bietet mir die Möglichkeit in genau diese Schulen zu gehen.

Was werden Ihre Aufgaben sein?

Ich werde unterrichten. Das können verschiedenste Fächer sein, in der Regel in einer NMS, in den ersten bis vierten Klassen. Es geht darum, Wissen zu vermitteln, das werde ich mir anhand von entsprechenden Unterrichtsmaterialien aneignen.

Und es geht darum, die Kinder zu empowern, sie in ihren Stärken zu fördern. Wir haben nach wie vor ein fehlerorientiertes System. Ich möchte die Kinder wertschätzen, ihre Stärken anerkennen und sie fördern.

Insgesamt würde ich mir eine individuelle Förderung für alle wünschen.

Amira Awad

Das Bildungssystem steht immer wieder in der Kritik. Sie sind als Mutter selbst betroffen.

Ich finde diese Fehler-Orientiertheit am schädlichsten. Ich sehe durchaus andere Zugänge, das hängt sicher auch von den Lehrer:innen ab. Die Volksschullehrerin meines jüngsten Kindes ist sehr motiviert. Sie schreibt nicht „ein Fehler“, sondern „vier richtig“.

Das sind Kleinigkeiten, die viel ausmachen. Ein Umdenken findet statt. Es liegen schon Konzepte auf dem Tisch. An dem Punkt ist die Politik gefragt, um sie auch umzusetzen.

Die österreichische Bundesverfassung definiert Schulen als Einrichtungen, die einen Bildungs- und Erziehungsauftrag haben. Können Schulen das noch leisten?

Es gibt eine absolute Überforderung des Systems. Die Klasse spiegelt die Gesellschaft wider. Die Thematik beginnt bei der Überforderung der Familie. Auch ich kenne das Gefühl. In den meisten Familien wollen sich beide beruflich verwirklichen und/oder müssen arbeiten gehen.

Dadurch entsteht diese Überlastung. Hier ist wieder die Politik gefragt sowie die Arbeitgeber:innen und auch die Väter. Die Care-Arbeit sollte nicht überwiegend an den Müttern hängen bleiben. Das ist ein gesellschaftliches
Problem.

Immer öfter gehen Lehrer:innen ins Burnout. Kann man sie als Quereinsteiger entlasten?

Meine Erwartungen halten sich in Grenzen. Ich werde nur im Rahmen des Systems agieren können. Die Ressourcenknappheit gibt es nun einmal. Ich nehme mir vor, es mit meiner Kraft und meiner Energie sowie meiner Motivation zu schaffen. Es wird sehr viel von meiner Herzensmotivation brauchen. Gerechtigkeit treibt mich an.

Sprechen wir von „Brennpunktschulen“.

Ich sage bewusst „herausfordernde Schulen“, denn Brennpunktschulen sind etwas sehr Negatives und es sollte diese Schulen nicht brandmarken. Es wäre wichtig, dass die Politik Bildung an die erste Stelle setzt. Ich weiß, das Thema ist nicht wahnsinnig beliebt, weil die Erfolge nicht kurzfristig entstehen, und die Politik agiert gerne kurzfristig.

Aber es wäre umso wichtiger, dass das auf ihrer Agenda Priorität hat, weil es dabei um unsere Zukunft geht.

Chancengleichheit: Gibt es sie, oder spielt der Status der Eltern die entscheidende Rolle?

Die aktuelle Pisa-Studie sagt das ganz klar: „Bereits im Alter von zehn Jahren weisen Kinder, deren Eltern lediglich über einen Pflichtschulabschluss verfügen, in Mathematik und Leseverstehen bis zu drei Jahre Leistungsunterschied gegenüber Kindern von Akademiker:innen auf. “

Der sozioökonomische Hintergrund wirkt sich stark auf die Leistung der Kinder aus.

Amira Awad über Schulbildung in Österreich
© Sascha van der Werf

Immer wieder liest man Schlagzeilen von Amokläufen, Gewaltbereitschaft und Mobbing an Schulen. Was sind die Gründe?

Das hat mit der Chancenungleichheit zu tun. Gerade bei Burschen mit Potenzial ist es mir oft aufgefallen. Sie tun sich schwer, ständig auf verlorenem Posten zu kämpfen. Das ist ein Nährboden für destruktives Verhalten. Sie haben viel Energie, wünschen sich einen gewissen Status und spüren das sie keine Chance haben.

Ein Fokus auf die Mädchen ist genauso wichtig, wenn sie Migrationshintergrund haben und in einem kulturellen Umfeld aufwachsen, in dem Frauenrechte keine große Rolle spielen. Wir sollten uns nichts vormachen, auch wir leben noch in einem Patriarchat.

Das stellt uns vor Herausforderungen. Wir müssen diese Mädchen an die Hand nehmen und ihnen das Gefühl vermitteln – hier in Österreich habt ihr die gleichen Rechte.

Was sind Ihre Lösungsansätze?

Anerkennung und Wertschätzung sind wahnsinnig wichtig. Wenn jemanden das Gefühl hat, er kämpft auf verlorenem Posten, braucht es Menschen im System, die sie motivieren, ihnen Mut machen und ihnen zeigen, dass sie es schaffen können, weil sie einen Platz in der Gesellschaft verdienen.

So kann man Energien richtig kanalisieren. Ich wünsche mir eine individuelle Förderung für alle.

Wenn jemand an „Teach for Austria“ Interesse hat, was wäre Ihr Rat?

Bei „TFA“ gibt es eine dreimonatige intensive Ausbildung, die man machen muss, bevor man in die Klasse geht. Dabei geht es um Self-Leadership, Classroom-Management und Persönlichkeit. Man wird in diesem Auswahlverfahren stark auf die Persönlichkeit getestet. Durchhaltevermögen und Resilienz sind in der Klasse wichtig.

Im Hinblick auf Fake News – wie schwierig ist der Beruf als Nachrichtenmoderatorin heute?

Ich finde den Beruf nicht schwieriger, sondern er wird immer wichtiger. Es braucht diese journalistische Einordnung viel mehr. Qualitätsinformation ist in Zeiten wie diesen enorm wichtig. Das Problem, das sich heute stellt, ist, wie kommt man an jungen Menschen heran?

Ich beobachte es bei meinen Kindern. Sie konsumieren Nachrichten nicht über den Fernseher, der wird bei uns nur „on-Demand“ konsumiert, oder über die sozialen Medien. Die ZIB macht das mittlerweile sehr erfolgreich über Instagram und TikTok.

Nutzen oder schaden soziale Medien Kindern und Jugendlichen?

Ich bin mir nicht sicher. Es ist wohl ein bisschen von beidem. Wobei ich zugebe, als Mutter muss ich in der Hinsicht mit meinen Kindern stetig einen großen Kampf kämpfen, und zwar gegen die Geräte. Ich bin oft damit beschäftigt sie zu verstecken und wiederzufinden.

Das bedeutet kreativ sein. Meine Kinder sind nicht alle gleich, aber es gibt diesen Drang hin zu den Geräten. Sie haben echtes Suchtpotenzial.

Sie bezeichnen es bewusst als Sucht?

Absolut. Meine Kinder sind zwischen 9 und 14 Jahre alt und ich glaube, dass viele Eltern teilweise überfordert sind, besonders weil wir dahingehend noch keine Role-Models haben. Wir sind nicht mit Eltern aufgewachsen, die uns diesbezüglich erzogen haben, und ich habe großen Respekt vor den Informationen, die permanent und völlig ungefiltert auf die Kinder einprasseln.

Was ist ihnen wichtig, wenn es um die Bildung ihrer Kinder und jene der anderen geht?

Es sollte gleich sein, aber wenn es um Sprachbarrieren geht, weil ein Kind kein Deutsch spricht oder traumatisiert ist, aufgrund der Fluchterfahrung, dann braucht es ganz andere Dinge. Die Wissensvermittlung muss im Vordergrund stehen, Kinder müssen ausgebildet werden, aber es braucht in solchen Fällen viel mehr und das sind Leistungen, die auf einer persönlichen Ebene passieren.

Empathie, Wertschätzung, Anerkennung, vielleicht auch ein Vertrauensverhältnis aufbauen. – Kinder sind sehr offen. Sie freuen sich über Input.

Sie haben einmal gesagt: „Sprache ist der Schlüssel zu den Menschen.“

Ich bin als arabisch sprechendes Kind nach Österreich gekommen. Ich hatte den Vorteil, dass meine Mutter Österreicherin ist, so habe ich die Sprache schnell gelernt, aber es war mir wichtig, Teil zu werden von dem, was mich umgibt. Es ist wichtig, die Kinder dabei zu unterstützen, weil Kinder schnell lernen und das Bedürfnis haben zu kommunizieren.

Übrigens: Noch bis 5. Mai 2024 können sich Hochschulabsolvent:innen und Career Changer für das Social Leadership Programm von Teach For Austria bewerben und für zwei Jahre als Pädagog:innen arbeiten. Weitere Infos unter teachforaustria.at/jetzt-bewerben.

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