Ein Bild im dunklen Club mit hellen gelben Scheinwerfern

Clubsterben: Wie wir jetzt feiern

Out of the dark

9 Min.

© Unsplash/Cagin Kargi

Wien tanzt weiter, nur anders als früher – das internationale Phänomen “Clubsterben” ist auch bei uns angekommen. Wie sich Wiener Clubs zwischen leeren Floors, neuen Regeln und Coffee Raves neu erfinden.

Ach, die guten alten Zeiten. Wer in den 90ern und 2000ern ausgegangen ist, erinnert sich an wilde Nächte ohne Ende, an Zufallsbekanntschaften, das Loslassen ohne digitale Filter. Heute sind die Tanzflächen oft halb leer. Das Publikum ist individueller, vorsichtiger, selektiver. Sind die Zeiten des unbeschwerten Ausgehens vorbei? Eins ist sicher: Die Clubs stehen unter Druck. Steigende Energiepreise, Inflation, Personalmangel und nicht zuletzt ein Publikum, das weniger und bewusster ausgeht, hinterlässt bei den Betreiber:innen besorgte Gesichter.

Im Sommer schloss der erst vor drei Jahren eröffnete Club „Ponyhof“ seine Türen auf unbestimmte Zeit. Immer wieder ist vom „Clubsterben“ die Rede, nicht nur hierzulande, auch international. Selbst in der Partyhochburg Berlin verschwanden renommierte Adressen wie das Watergate oder die Pacht von der Landkarte. Die Berliner Club Commission meldete zuletzt besorgniserregende Zahlen: Rund 46 % der befragten Clubs denken darüber nach, in den nächsten 12 Monaten zu schließen. Der Betrieb würde sich einfach nicht mehr rentieren. In Großbritannien sollen laut der Night Time Association seit März 2020 sogar 150 Clubs pro Jahr dicht gemacht haben.

Und dann wäre da noch ein neues Veranstaltungsgesetz, das 2026 in Kraft treten soll und zuletzt für Gesprächsstoff in Wien sorgte. Kritiker:innen fürchten zusätzliche Auflagen und Kosten, die es den ohnehin geplagten Nachtgastronom:innen noch schwerer machen würden. Ist das berechtigt? Oder ist der Begriff „Clubsterben“ ein Mythos, der die eigentliche Entwicklung vernebelt: einen tiefgreifenden kulturellen Wandel? Wir haben mit Verantwortlichen verschiedener Wiener Club-Institutionen gesprochen und auch die Vienna Club Commission (VCC) um Einschätzung gebeten. Was sie erzählen, ergibt ein Bild: Die Lage ist ernst. Aber das Ende ist noch nicht in Sicht.

Eine ganze Generation hat nie gelernt, wie sich Clubkultur anfühlt.

Michael Gröss, U4


Was hat sich verändert? „Eine Stichproben-Umfrage der VCC bestätigt das Bild, dass Clubs aktuell definitiv vor finanziellen Herausforderungen stehen“, sagt Martina Brunner, Geschäftsführerin der VCC. Kostensteigerungen hätten Betreiber:innen gezwungen, Preise zu erhöhen, während der Pro-Kopf-Umsatz sinkt. Die Kombination aus Teuerung und neuem Ausgehverhalten wirkt in den Bars und an den Kassen nach. Auch kulturell und gesellschaftlich haben sich Welten verschoben.

Heinz Tronigger prägt als ehemaliger Betreiber von namhaften Clubs wie der Babenberger Passage, Meierei & Co. seit Jahrzehnten die Wiener Clubszene. Sein neuestes Projekt ist der Hybrid-Club Praterstrasse. Er beschreibt eine Generation, die während der Lockdowns den Einstieg ins Nachtleben verpasst hat: „Eine ganze Generation konnte aufgrund der Lockdowns keine Ausgeh-Erfahrungen machen und musste sich nach der Krise erstmals an Clubkultur herantasten.“ Die Folge: weniger Routine, mehr Vorsicht und eine stärkere Orientierung an Szenen, Algorithmen und persönlichen Komfortzonen.

Im Kultlokal U4 beobachtet Geschäftsführer Michael Gröss eine ähnliche Entwicklung: „Jene, die damals 16, 17 waren, sind völlig aus dem Nachtleben herausgefallen. Sie haben nie gelernt, wie das funktioniert, wie sich Clubkultur anfühlt, was daran eigentlich Spaß macht.“ Digitale Plattformen hätten viele Funktionen des Nachtlebens ersetzt: Kennenlernen, Trendfindung, sogar Musikentdeckung. „Aber dieses reale, gemeinsame Erleben kann kein Algorithmus ersetzen“, sagt er.

Parallel dazu zeigt sich eine neue Erwartungshaltung. Heinz Tronigger beschreibt, dass viele Besucher:innen heute „genau wissen, was sie hören, wen sie sehen und was sie posten wollen“. Dieses Bedürfnis nach Kontrolle steht manchmal im Widerspruch zu dem, was Clubkultur eigentlich ausmacht – das Loslassen, das Unvorhersehbare. Auch Gregor Imhof vom SASS betont, dass die Gäste anspruchsvoller geworden sind: „Besucher:innen sind weniger kompromissbereit und das meine ich nicht ausschließlich negativ.“

Werte wie Awareness, Diversität und Respekt prägen inzwischen maßgeblich, wie Clubs funktionieren und welche Angebote erfolgreich sind, stellen Betreiber:innen aber auch vor neue organisatorische Herausforderungen. „Das heißt nicht, dass alles schlechter geworden ist; es ist einfach eine andere Zeit, mit anderen Bedürfnissen. Der Club spiegelt das wider und ist heute wie früher eine Art gesellschaftspolitischer Detektor, der zukünftige Strömungen früh sichtbar macht.“

Ein Puzzle aus Krisen

Wie ein wirtschaftlicher Clubbetrieb heute überhaupt noch möglich ist? „Kaum, mit der Tendenz zu gar nicht“, sagt Gregor Imhof. Vielmehr gehe es um Leidenschaft und den gesellschaftlichen Wert von Clubkultur, der stärker nach außen getragen werden müsse. Denn nicht nur gesellschaftliche Veränderungen belasten die Clubs, sondern auch ein komplexes Puzzle aus ökonomischen Krisen. Energiepreise steigen, Löhne werden teurer, bürokratische Auflagen wachsen, zusätzliche Gebühren belasten die Kassen und immer mehr Anrainer:innen beschweren sich über Lärm. Nach der Pandemie fehlen vielen Clubs zudem finanzielle Rücklagen, die notwendig wären, um Räume zu modernisieren oder flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren.

Wie Martin Wagner vom FLUCC beschreibt, sind all diese Faktoren „zentrale Herausforderungen“, die sich gegenseitig verstärken. Hinzu kommt ein Wandel der gesellschaftlichen Nutzung der Räume. U4-Betreiber Michael Gröss beobachtet, dass viele Clubs ursprünglich für laute Nächte in unterirdischen Räumen gebaut wurden – doch das passt heute nicht mehr immer zu den neuen Trends, bei denen Gäste lieber auf einer Rooftop-Bar die Sonne genießen oder Daydrinking-Events besuchen. Gleichzeitig zeigen sich strukturelle Schwächen: Heinz Tronigger ordnet die Lage historisch ein und nennt die Pandemie einen Einschnitt, „der viele Strukturen offengelegt hat, die schon davor brüchig waren“.

Wir brauchen Kulturförderungen, die es uns ermöglichen Konzepte ernsthaft und nachhaltig umzusetzen.

Gregor Imhof, SASS

Sicherheit geht vor

Die neuen Erwartungen der Besucher:innen – Sicherheit, Awareness, Diversität – finden nun auch Eingang in die politische Regulierung. Das geplante Wiener Veranstaltungsgesetz, das 2026 in Kraft treten soll, zielt darauf ab, dass Clubs ein respektvolles und sicheres Feiern ermöglichen. Es richtet sich vor allem an größere Clubs mit mehr als 300 Gästen und soll das Feiern sicherer machen, ohne kleine Veranstalter:innen zu überfordern.

Grundlage dafür sind Erkenntnisse aus einer VCC-Umfrage: 65 % der Befragten haben zumindest einmal Diskriminierung, Belästigung oder Übergriffe erlebt, rund 25 % sogar regelmäßig oder gelegentlich. Über drei Viertel berichteten von sexualisierter Belästigung, dazu kamen verbale und physische Übergriffe, Diebstähle und K.O.-Tropfen. Die gesetzlichen Anpassungen sollen diese Probleme adressieren. Vorgesehen sind geschultes Security- und Barpersonal, Awareness-Teams, diskriminierungssensible Hausregeln und eine transparente Türpolitik.

Martina Brunner von der VCC betont, dass die Maßnahmen vor allem präventiv wirken sollen: „Mehr Sicherheit steigert die Attraktivität und Wirtschaftlichkeit von Clubs, weil sich Gäste in einem geschützten Umfeld wohler fühlen und bevorzugt jene Orte aufsuchen, die aktiv Maßnahmen für ein sicheres Feiern setzen.“

Die Mehrheit der Nachtgastronom:innen begrüßt das Gesetz und hat viele der vorgesehenen Standards ohnehin schon umgesetzt. Michael Gröss erklärt: „Die neuen gesetzlichen Konzepte sind für uns keine Neuerung, sondern eine Bestätigung dessen, was wir seit Jahren praktizieren. Wichtig ist das vor allem für kleinere Veranstalter:innen, die mit gutem Willen, aber wenig Erfahrung arbeiten.“ Heinz Tronigger ergänzt: „Richtig umgesetzt heben diese Konzepte das Sicherheitsgefühl der Gäste. Wichtig ist jedoch, dass die Umsetzung praxisnah bleibt und Betreiber:innen nicht bürokratisch überfordert werden.“

Zwar würden dadurch offiziell keine zusätzlichen Personalkosten entstehen, doch auch der SASS-Geschäftsführer weist darauf hin, dass die Finanzierung solcher Konzepte dennoch eine Herausforderung bleibt: „Wir brauchen Kulturförderungen, die es uns ermöglichen, diese Konzepte auch ernsthaft und nachhaltig umzusetzen.“

Feiern neu gedacht

Die Reaktion auf das veränderte Publikum zeigt sich besonders in neuen Formaten und hybriden Konzepten. Clubs öffnen ihre Räume heute nicht mehr nur nachts, sondern nutzen sie auch tagsüber und für kulturelle Veranstaltungen. Heinz Tronigger erklärt das Konzept seines jüngsten Projektes, der Praterstrasse, so: „Uns ging es nie nur um Clubnächte, sondern um die Kreation eines lebendigen Hauses, dessen Klebstoff die Musik ist. Tagsüber etablieren wir uns mehr und mehr als Ort für moderierte Diskussionen, Pressekonferenzen und Produktpräsentationen.

Auch der Sport hat bereits Einzug gehalten – im Jänner beispielsweise mutiert der Club zu einem Cycling-Studio mit DJs als Taktgeber.“ Das FLUCC verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Martin Wagner beschreibt die Umorientierung so: „Wir wollten unsere ursprüngliche Gründungsidee – einen offenen, künstlerischen Raum für viele unterschiedliche Akteur:innen – neu beleben und erweitern, indem wir verstärkt kulturelle Angebote auch für kunstfernere Menschen anbieten. Sie sollen nicht nur als Konsument:innen kommen, sondern als selbstbestimmte Akteur:innen teilhaben.“

Neben kulturellen Mischformen entstehen auch Formate, die gezielt neue Generationen ansprechen. So bietet das U4 neben dem normalen Clubbetrieb auch Veranstaltungen wie LEVEL ONE für 12- bis 15-Jährige, SLAY für junge und queerfreundliche Zielgruppen, Early EVE, ein Event von und für Frauen sowie das neueste Format Klub66, bei dem statt Teens und jungen Erwachsenen 60- bis 90-Jährige die Tanzfläche erobern. „Diese Konzepte haben ihr eigenes Publikum, das genau dieses Zeitfenster schätzt“, betont Gröss. Gleichzeitig räumt er ein: „Aber einfach bestehende Clubbings ein paar Stunden nach vorne zu verschieben, funktioniert nicht. Der klassische Clubgast kommt spät – nur eben heute nicht mehr bis zum Morgengrauen.“

Nicht alle sehen diese Entwicklung uneingeschränkt positiv. Gregor Imhof beschreibt solche neuen Formate als verständlichen Versuch, weiter bestehen zu können, weist aber darauf hin, dass die Identität des Clubs dabei nicht verwässert werden darf. „Ein Club ist kein Kaffeehaus. Kulturveranstaltungen und Konzerte gehören oft dazu, leiden aber unter denselben Problemen“, sagt er.

Soft Clubbing

Während man in Wien noch experimentiert und neue Formate ausprobiert, kristallisiert sich vor allem international ein neuer Trend heraus: Soft Clubbing. Anders als klassische Clubnächte stehen hier Wohlbefinden, bewusster Konsum und Musikgenuss ohne oder mit wenig Alkohol im Vordergrund. Typische Formate sind Coffee Raves, bei denen Kaffee statt Alkohol fließt, Sauna- oder Spa-Partys, bei denen Gäste Wellness und Clubmusik kombinieren, oder Tages-Events wie Yoga Sessions mit DJs.

Laut Eventbrite ist die Nachfrage nach solchen „sober-curious“ Events in den letzten Jahren stark gestiegen: Coffee-Clubbing-Events verzeichnen beispielsweise einen Anstieg von rund 478 %, die Teilnehmerzahlen bei Spa- oder Thermal Raves sogar um über 1.100 %. Vor allem die Gen Z treibt diese Entwicklung voran: 61 % geben an, weniger trinken zu wollen, um Schlaf, mentale Gesundheit und Fitness zu priorisieren.

Ob sich dieser Trend auch hierzulande etablieren oder dauerhaft durchsetzen wird? Das ist noch offen. Klar ist jedoch: Es muss sich etwas ändern, damit Wiener Clubs langfristig überleben und relevant bleiben. Die Stimmen aus der Branche machen deutlich, dass gesellschaftliche Wertschätzung, politische Unterstützung und wirtschaftlicher Spielraum wichtiger denn je sind.

Wer in der Szene genau hinschaut, erkennt: Clubs sind mehr als Tanzflächen. Sie sind Orte der Begegnung, der Vielfalt und des Schutzes, Räume, in denen gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht und marginalisierte Gruppen willkommen sind. Wie die Clubs der Zukunft aussehen? „Hoffentlich laut, bunt und divers! So wie wir immer schon waren“, wünscht sich Gregor Imhof.

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