Technometoo: Was hat sich nach den Vorwürfen in der Clubszene verändert?

#TechnoMeToo: Was hat sich seit den Vorwürfen in der Clubszene verändert?

Sicherheit im Wiener Nachtleben

6 Min.

© Unsplash/ Baptiste Merel

Seit vergangenem Sommer rumort es in der Wiener Technoszene. Nach einer Instagram-Story der Technoveranstalterin Frederika Ferková meldeten sich zahlreiche Opfer von sexueller Belästigung, teils auch schwerwiegender sexueller Übergriffe.

„Anfang August schrieb mir die Schwester einer Betroffenen“, erzählt sie im Interview mit der WIENERIN. „Aufgrund meiner eigenen Vergangenheit und der Erfahrungen in der Branche beschloss ich, das Ganze öffentlich zu machen. Sofort fragten andere Frauen, ob es sich um Mann XY handelt. Da unterschiedliche Namen fielen, kam die Sache ins Rollen.“

Gemeinsam mit Sabrina Geißler, die als DJ (aka Purrdition) tätig ist, rief sieden Hashtag TechnoMeToo ins Leben. Mit Frederika Ferková als Vereinsobfrau sind beide Teil des feministischen Partykollektivs „Hausgemacht“, das schon lange durch eigens geschulte Awareness-Personen auf den Veranstaltungen für ein hohes Sicherheitslevel sorgt.

Nach ihrem Aufruf zählt Ferková bis zum heutigen Tag fast 100 Meldungen von Betroffenen. Die Wiener Club- und Veranstaltungsszene ist männerdominiert. Das strukturelle Machtgefälle ist zudem besonders problematisch: „Hauptsächlich ist das Personal aus der Wiener Clubszene betroffen“, sagt Ferková.

Umfrage zeigt Sicherheitslücken auf

Die Vienna Club Commission (VCC) führte im letzten Jahr eine große Umfrage zur Sicherheit im Wiener Nachtleben durch und beschäftigt sich schon seit Längerem mit der Thematik. Das Ergebnis: Knapp jede dritte Frau (cis) und 38 Prozent der trans, fluid, queer und nicht binären Personen haben ein unsicheres Gefühl im Wiener Nachtleben.

65 Prozent aller Befragten haben zumindest einmal persönlich eine Diskriminierung, Belästigung oder einen Übergriff erlebt.

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Die Täter bleiben aus rechtlichen Gründen der Öffentlichkeit unbekannt und auch die genaue Anzahl darf nicht
genannt werden. „Es handelt sich um weniger als zehn Personen“, bestätigt sie. „Durch das hohe Macht- und Altersgefälle bräuchte es mehr Schutz für vulnerable Personen und finanzielle Mittel für Maßnahmen und Meldestellen.“

Wie viele #MeToos müssen noch passieren?

Nach dem Aufkommen von #TechnoMeToo wurde von den autonomen Frauenhäusern Wien und der VCC ein Spendenkonto eingerichtet, das die Opfer unterstützt. „Davon wurden bislang therapeutische und rechtliche Kosten übernommen. Ein bis zwei Betroffene überlegen auch rechtliche Schritte einzuleiten und sind mit einem Anwalt in Kontakt“, berichtet Ferková. „Es ist auf jeden Fall noch nicht vorbei. Manche Täter wollen das Feld einfach nicht räumen.“

Anklagen gegen Opfer

Wie bei anderen MeToo-Bewegungen treten auch hier typische Dynamiken zutage. Zum Beispiel sogenannte SLAPP-Klagen gegen Opfer. Dabei ziehen Täter vor Gericht und klagen die Opfer auf Rufschädigung. Das sei
auch einer Betroffenen von #TechnoMeToo passiert.

„Allerdings gab es eine außergerichtliche Einigung“, berichtet Ferková. „Nun gibt es Schritte ihrerseits gegen den Täter. Zwei weitere Opfer nehmen ihre Termine beim Anwalt wahr.“ Dabei ist zu beachten, dass Klagen und Prozesse nicht nur lange dauern, sondern auch retraumatisierend wirken können.

„Bei Klagen gegen die Opfer müssen diese den Wahrheitsbeweis antreten. Meistens können sie das – mit Screenshots oder auch Zeug:innen“, erklärt Ferková. „Es ist auf jeden Fall wichtig, aufzustehen und aufzuschreien, um auch andere Personen vor den Tätern zu schützen“, ermutigt sie Betroffene. Auch eine Meldestelle erhofft sich die Wienerin – bis dato bekommt sie noch immer Zuschriften über Instagram und ihre E-Mail-Adresse, die sie veröffentlicht hat.

Die Mails wurden in Absprache mit den Opfern an Medien, einen Anwalt und die Vienna Club Commission weitergeleitet.

Offizielle Meldestelle für Opfer fehlt

„Es ist wichtig, dass sich Betroffene über eine offizielle Meldestelle vernetzen können, falls es zu Sammelklagen kommt. Und der Austausch untereinander kann sehr heilsam sein. Das halte ich für die Priorität Nummer 1 momentan“, sagt die Veranstalterin. Als Überbrückung können generelle Meldestellen genutzt werden (am Ende aufgelistet).

Die Vienna Club Commission fungiert als neutrale Schnittstelle zwischen der Stadt Wien und der Club- und Veranstaltungsszene. Aufgrund von Interessenkonflikten kann die VCC jedoch nicht als offizielle Meldestelle für Übergriffe im Wiener Nachtleben agieren, sagt Geschäftsführerin Martina Brunner im Interview.

„Wir haben uns bereits mit bestehenden Servicestellen ausgetauscht, die solche Diskriminierungsfälle bearbeiten.“ Einen intensiveren Austausch dazu gebe es mit der Vertrauensstelle vera*.

Auch in der Politik hat sich seit dem Aufkommen von TechnoMeToo etwas getan: „Im Wiener Gemeinderat wurde im Herbst ein Antrag zu Gewaltschutz- und Awareness-Maßnahmen für die Wiener Clubszene und den Wiener Veranstaltungsbereich von allen Parteien einstimmig angenommen. An der Umsetzung wird gearbeitet – konkrete Maßnahmen werden planmäßig 2024 erwartet“, heißt es aus dem Büro der Vizebürgermeisterin und Frauenstadträtin Kathrin Gaál (SPÖ).

„Alle Seiten zeigen Interesse an Verbesserung“, vermeldet Martina Brunner von der Vienna Club Comission. Konzertveranstalter:innen, Clubbetreiber:innen, Techno-Kollektive – viele seien auf der Suche nach Awareness-Personen für ihre Veranstaltungen: „Diese sind aber de facto nicht in ausreichendem Maß vorhanden. Hier gibt
es einen sehr großen Schulungsbedarf “, beklagt Brunner.

Machtstrukturen aufzubrechen, von denen hauptsächlich das Personal der Clubszene betroffen sind, sei schwierig. „Für diese Fälle ist die Meldestelle besonders wichtig.“ Auch bei den großen Wiener Clubs kam die Botschaft an. „Die Grelle Forelle verlangt zum Beispiel Awareness-Teams von Veranstalter:innen“, berichtet Frederika Ferková.

„Meiner Meinung nach wurde der Awareness-Arbeit seit #TechnoMeToo grundsätzlich mehr Wert beigemessen.
Bei ‚Hausgmacht‘ wird vermehrt angefragt, ob wir als Verein auch andere schulen könnten.“

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Awareness-Workshops in Planung

Dem Andrang auf Fortbildungen nachzukommen sei schwierig, sagt Martina Brunner der Vienna Club Comission. Es liege aber nicht am guten Willen: „Wir haben mit unterschiedlichen Servicestellen und Akteur:innen aus der Club- und Veranstaltungsszene ein Workshop-Konzept ausgearbeitet und versuchen gerade, die Finanzierung sicherzustellen.“

Auf der Webseite finden sich bereits Stellen, die Schulungen anbieten. „Die Diskussion und das Interesse sind schneller als das Angebot, das geschaffen werden kann. Wir sind aber in einem guten Austausch mit der
Stadt Wien.“ Seitens der Vizebürgermeisterin werden die Schulungen stattfinden.

„Die neue Kooperation der Vienna Club Commission mit dem ‚Rettungsanker‘ der Stadt Wien bietet allen interessierten Clubs und Veranstalter:innen die Möglichkeit, Mitarbeiter:innen zu schulen. Ziel ist es, noch breiter als schon bisher Bewusstsein für die Themen Gewaltschutz und sexuelle Belästigung zu schaffen – und
konkrete Handlungsoptionen für Mitarbeiter:innen aufzuzeigen, um Betroffene zu unterstützen“, so das Statement von Vizebürgermeisterin und Frauenstadträtin Kathrin Gaál.

„Wir sind im Austausch, die Wege dauern naturgemäß etwas länger“, bestätigt Brunner. „Es braucht weiterhin
Personen wie Fredi Ferková, die sich trauen, das Thema an die Öffentlichkeit zu spielen, die Schieflagen sichtbar zu machen und laut zu sein“, sagt sie. „Wir vertrauen in die Politik, dass Lösungen ausgearbeitet und umgesetzt werden. Für uns hat das Thema #TechnoMeToo sehr hohe Priorität.“

HELPLINES UND SPENDENAUFRUF

Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 / 222 555
24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien: 01 / 71 719
vera* Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport: www.vera-vetrauensstelle.at

Spendenkonto zur Unterstützung der Betroffenen:
ERSTE BANK
IBAN: AT77 2011 1841 3644 3300
BIC/SWIFT: GIBAATWWXXX

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