So klingt Gleichberechtigung: Spotify-Chefin Conny Zhang im Interview
Spotlight on
© Christoph Neumann
Weltweit ist nur eine von fünf Musiker:innen in den Charts weiblich. Mit „EQUAL“ gibt Spotify Frauen in der Musikbranche eine Bühne. Conny Zhang, Head of Music Spotify DACH, hat die WIENERIN zum Interview nach Berlin eingeladen.
Sie ist eine der mächtigsten Frauen im Musikbusiness. Mit 29 Jahren schaffte es die heute 30-jährige Spotify-Musik-Chefin Conny Zhang auf die „Forbes under 30“-Liste. Ein Ranking, das Menschen unter 30 für ihre herausragenden Leistungen und Lösungen, die die Welt zum Besseren verändern, auszeichnet. Als Head of Music von Spotify leitet sie den gesamten Musikbereich für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
An einer der angesagtesten Adressen in Berlin, nicht weit vom Brandenburger Tor, empfängt sie uns in der beeindruckenden Zentrale von Spotify Deutschland. Hohe Wände aus unverputztem Ziegelstein und weitläufige Gemeinschaftsräumlichkeiten – in Szene gesetzt durch elegante Lichtakzente – versprühen einen fancy Vibe. Kaum zu glauben, dass wir uns hier in einem Office befinden. Kostenlose Getränke und Snacks inklusive. Das mit grünen Pflanzen geschmückte Atrium gilt als Highlight des architektonischen Meisterwerks und wird das ganze Jahr über mit natürlichem Licht durchflutet.
Unerwartet bodenständig spricht die gebürtige Berlinerin mit einem Augenzwinkern über ihre gescheiterte Karriere als Sängerin und über ihre Vision, Gleichberechtigung in der Musikbranche voranzutreiben.
weiblich, jung und erfolgreich: Conny Zhang
Als Head of Music DACH haben Sie einen großen Einfluss auf die Musikbranche. Gab es neben Arbeit, Ausdauer und Expertise etwas, wovon Sie denken, dass es Ihnen geholfen hat, dorthin zu kommen, wo Sie heute sind?
Conny Zhang: Das ist eine gute Frage! Ich bin immer schon sehr neugierig gewesen und habe bei Chancen immer Ja gesagt, schon als kleines Kind. Meine Mutter ist damals von Korea nach Deutschland ausgewandert, und ich bin wahrscheinlich mit einem Hunger nach mehr aufgewachsen.
Ich habe eine Hypothese, dass Menschen aus der Musikbranche meist drei Dinge miteinander verbinden: Das Erste ist die absolute Liebe zur Musik. Mein Team und ich sind diejenigen, die auf jeder Sommerparty oder Unternehmensfeier die Letzten auf dem Dancefloor sind. Zweitens sind, meiner Meinung nach, Menschen in der Kreativbranche meist sehr intrinsisch motiviert. Das bedeutet, dass sie für ihre Arbeit regelrecht brennen und dafür auch gerne Herausforderungen annehmen. Mein dritter Punkt: Das fehlende Talent, professionell Musik zu machen. Das ist auch bei mir der Fall (lacht). Aber das ist nur meine Hypothese und sollte nicht zu ernst genommen werden. Bei mir war es am Ende eine Mischung aus verschiedenen Dingen.
Können Sie uns erzählen, welche Rolle Sie bei Spotify als Head of Music DACH innehaben?
Im Prinzip leitet sich die Mission des Musikteams aus zwei Submissionen ab. Wir haben bei Spotify das Ziel, die beste Plattform für Audioinhalte zu sein. Dazu gehört mit Blick auf Künstler:innen die Zusammenarbeit mit deren Managements und Labelpartner:innen, diese zu informieren, welche Tools wir anbieten und wie sie diese für ihre Artists am besten nutzen können.
Andererseits fokussieren wir uns natürlich auf die Bedürfnisse unserer User:innen. Dabei geht es um redaktionelle Entscheidungen, etwa welche Songs in einer Playlist gefeaturt werden, aber auch, wie der Content in der App zum Beispiel dargestellt wird, um für die Hörer:innen das beste Erlebnis zu schaffen. Meine Aufgabe ist also sehr vielfältig.
In vielen Branchen herrscht nach wie vor eine ungleiche Geschlechterverteilung. Wie haben Sie dies in ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn bei Google und Universal Music wahrgenommen?
Bisher habe ich sowohl negative als auch positive Erfahrungen diesbezüglich gemacht. In manchen Umfeldern habe ich auf jeden Fall Missstände gesehen. Zum Beispiel, dass es wenig Frauen in Entscheider:innenpositionen gab, dass Frauen lange auf Positionen hingearbeitet haben oder vielleicht die Arbeit schon gemacht haben, ohne einen Titel dafür zu bekommen.
Ich habe aber auch echt positive Erfahrungen machen können. Generell würde ich sagen, dass bei Big-Tech-Unternehmen wie Spotify und Google vieles schon recht gut läuft. Das ist auf jeden Fall positiv. Aber grundsätzlich kann man schon sagen, dass in der Musikindustrie noch ein Gefälle da ist, das seit Jahren besteht.
Eine Studie von der MaLisa-Stiftung hat herausgefunden, dass Musik in den deutschen Wochencharts zu mehr als 85 Prozent von Männern komponiert wird. Im Studio zu produzieren ist ein sehr intimer Moment. Wenn man sich dann vorstellt, wie viele Künstler:innen im Kreativprozess nur mit Männern arbeiten müssen, ist das ein Punkt, an dem man auf jeden Fall ansetzen sollte.
Das tut Spotify gegen Geschlechterungleichheit
In der Musikbranche sind Künstlerinnen in der Unterzahl. Spotify möchte mit seinem Programm EQUAL Musikerinnen unterstützen und der Ungleichheit im Business entgegenwirken. Inwiefern?
Unser Ziel mit Programmen wie EQUAL und RADAR ist es, nicht das Populärste abzubilden, sondern damit auch Rand- und Nischenkünstler:innen zu unterstützen und in diesem Fall daran zu arbeiten, Gleichberechtigung in der Musikbranche zu schaffen und denjenigen Ressourcen zu geben, die sie brauchen. EQUAL wurde weltweit in über 180 Märkten ausgerollt.
Künstler:innen, die in das Programm aufgenommen werden, bekommen verschiedene Maßnahmen geboten, erhalten globale Visibilität, indem sie in der EQUAL-Playlist platziert werden. Für viele ist das der erste Push. Für jeweils eine Künstlerin oder Band des Monats gibt es zusätzlich ein Marketingpaket, das zum Beispiel einen „New York Time Square Billboard“- und Social-Media-Support inkludiert.
Im Juni wurde „My Ugly Clementine“ als erste österreichische Band als Global Artist of the Month ins Spotify-Equal-Programm aufgenommen. Ihre Songtexte handeln von Gleichberechtigung, Respekt und Selbstliebe. War das ein Entscheidungskriterium bzw. nach welchen Kriterien wird entschieden?
Ja, das war absolut ein Kriterium. Wir beobachten „My Ugly Clementine“ tatsächlich schon seit ein paar Jahren. Die Band war bereits Teil unseres Newcomer:innen-Programms, das Künstler:innen am Anfang ihrer Karriere unterstützt. Sie sind natürlich eine wirklich gute Band mit Texten, die sich noch dazu um das Thema Gleichberechtigung drehen.
Im Allgemeinen achten wir auf verschiedene Dinge. Wir wollen auch bei der EQUAL-Auswahl divers sein. Das bedeutet, wir schauen, aus welchem Genre und auch aus welchen Ländern die Künstlerinnen kommen und ob sie eher Newcomerinnen oder bereits etabliert sind. Natürlich hilft es auch, wenn die Künstler:innen zur selben Zeit über EQUAL gepusht werden, zu der sie auch neue Musik releasen, weil die Künstlerinnen dann selbst am meisten davon profitieren. Das hat bei „My Ugly Clementine“ alles gepasst.
Gibt es zusätzliche Ressourcen oder Aktivitäten, die das EQUAL-Programm ergänzen?
Je nach aktueller Bedürfnislage versuchen wir, verschiedene Aktivitäten oder Events zu veranstalten, die die EQUAL-Mission unterstreichen. Besonders Live-Musik hat ja während der Corona-Pandemie gelitten, weshalb wir uns dazu entschieden haben, auf dem Reeperbahn-Festival in Hamburg im vergangenen Jahr, einem der größten Newcomer:innen-Festivals in Deutschland, EQUAL-Showcases zu hosten und Künstler:innen einzuladen, auf der Bühne zu performen.
Außerdem hatten wir einen Networking-Brunch mit FLINTA aus der Musikindustrie. Wir machen immer wieder Events, zu denen wir EQUAL-Alumni einladen, sich miteinander zu vernetzen und gegenseitig zu supporten. Ich glaube, das ist auch ganz wichtig.
Wie sehen Sie die bisherige Entwicklung und den Erfolg von EQUAL?
Ironischerweise wäre EQUAL dann erfolgreich, wenn es EQUAL nicht gäbe oder wenn man es gar nicht bräuchte. Aber das ist natürlich erstmal Utopie. Wir haben im deutschsprachigen Raum bisher fast 550 Künstlerinnen mit EQUAL unterstützt. Auch in editoriellen Playlists, also Playlists, die von einer Spotify-Redaktion kuratiert wurden, hat sich die Zahl an weiblichen Artists in den letzten zwei Jahren verdoppelt. Ich glaube, dass User:innen das merken.
Wir hören oft von Fans: „Hey, mir fällt auf, ihr habt viele Female Cover, mega cool!“ Oder auch in Gesprächen mit Managements und Labels ist es oft Thema. Nach zwei Jahren merken wir mittlerweile, dass sie aktiv auf uns zukommen und sagen: „Wir haben eine Künstlerin unter Vertrag genommen, die sich gut für EQUAL eignen würde.“
Welche Bedeutung haben Vielfalt und Inklusion für Spotify in Bezug auf die Menschen, die bei Spotify arbeiten?
Wir achten besonders darauf, dass unsere Teams divers sind. Dafür haben wir verschiedene Maßnahmen implementiert. Wir haben zum Beispiel ein diverses Interviewpanel, damit Bewerber:innen die Möglichkeit haben, mit unterschiedlichen Menschen zu sprechen. Außerdem haben wir immer wieder Coachings und Workshops, wie zuletzt zum Thema Antirassismus. Diversität und Inklusion sind natürlich auf allen Ebenen wichtig.
Am Ende ist es eine große Herausforderung, aber auch eine wichtige Verantwortung von Plattformen wie Spotify, sich dazu beständig weiterzubilden. Wenn man User:innen auf der ganzen Welt erreichen möchte, muss man diese auch verstehen. Das fängt beim Programming an und geht bis hin zu diversen Playlists, die nicht nur männlichen oder weiblichen, sondern auch queeren Zielgruppen entsprechen.
Aktuell kommt aus Österreich sehr spannende Musik, vor allem Indie-Punk und Female-Rap.
Conny Zhang, Head of Music Spotify DACH
Conny Zhang: Die zukunft der musikbranche
In den letzten Jahren hat sich die Art, wie Menschen Musik konsumieren, stark verändert. Welche Trends sehen Sie in Bezug auf Musik und Streaming in den kommenden Jahren?
Beim Streaming sehen wir auf jeden Fall den Trend, dass es weiter wächst. Das Spannende ist, wie sich das Konsument:innenverhalten verändert, sowohl global als auch innerhalb des eigenen Markts. Die Musikrichtung „Amapiano“ wird vermutlich noch sehr spannend werden. Das ist ein Subgenre der House- und Kwaito-Musik aus Afrika, die jetzt auch in Europa und im deutschsprachigen Raum Fuß gefasst hat. Insgesamt kommt aus Österreich aktuell sehr spannende Musik, vor allem Indie-Punk und Female-Rap. Elektronische Musik und Techno werden vermutlich auch weiterhin ein großes Thema sein.
Wie arbeitet Spotify daran, Künstler:innen eine faire Vergütung für ihre Musik zu bieten?
Ein Vorteil der Digitalisierung und des Streamings ist, dass die Eintrittsbarrieren geringer sind und Künstler:innen viel mehr Möglichkeiten haben, ihre Musik zu veröffentlichen. Früher konnte es unter anderem wichtig sein, einen Major-Label-Plattenvertrag zu haben. Heute kann man eine Aufnahme zum Beispiel über einen Digitalvertrieb hochladen. Künstler:innen brauchen keine großen Budgets mehr, um ihre Musik zu kreieren, zu verbreiten und in der ganzen Welt bekannt zu machen. Das ist zwar gut, macht die Sache aber auch komplex.
Wir versuchen, in dieser Causa mehr aufzuklären. Dafür haben wir zum Beispiel Loud & Clear geschaffen. Das ist eine Website, die für mehr Transparenz sorgen soll, indem sie neue Daten zu den Lizenzgebühren von Spotify veröffentlicht und die globale Streaming-Wirtschaft, die Akteure und den Prozess aufschlüsselt. Bei Spotify gibt es ein Abo- und ein werbefinanziertes Modell, und 70 Prozent der Einnahmen zahlen wir wieder zurück an die Industrie bzw. an die Inhaber:innen der Musikrechte.
Unsere Mission ist es herauszufinden, wie Künstler:innen mehr Fans erreichen und welche Tools sie dafür nutzen können. Sie sollen am Ende die verschiedenen Einkommensstränge, von denen die Streamingeinnahmen einer ist, beobachten und verstehen können.
Die DACH-Region hat eine reiche musikalische Geschichte und viele einflussreiche Künstler:innen hervorgebracht. Wie beeinflusst diese Region die globale Musikszene aus Ihrer Sicht?
Ich würde sagen, dass Musik aus der DACH-Region einen großen Einfluss auf die globale Musikszene hat und das auf mehreren Ebenen. Zum einen wird sehr viel Musik gemacht, und es gibt eine große Menge an Künstler:innen, einige sind auch international bekannt. „Milky Chance“ etwa, die mit ihrem Song „Stolen Dance“ 2022 eine Milliarde Streams erreicht haben. Deutschland ist der viertgrößte Musikmarkt. Österreich und Schweiz sind auch sehr stark und wichtig. Hier werden Trends abgebildet.
Welche Rolle spielt Musik für Sie privat?
Ich habe früher auch selbst Musik gemacht und mich im Singer/Songwriting ausprobiert. Es gab auch Videos von mir auf Youtube, die sind aber Gott sei Dank nicht mehr zu finden (lacht). Ich gehe gerne auf Festivals. Klar, ich bin beruflich auch viel unterwegs, aber ich habe immer ein Festival pro Jahr, das ich privat mit Freund:innen besuche.
Seitdem ich bei Spotify arbeite, höre ich tatsächlich mehr Mainstreammusik. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich viel mit internationalen Kolleg:innen zusammenarbeite und mitbekomme, was die absoluten Hits und Trends aus den anderen Märkten sind. Aktuell liebe ich Musica Mexicana und Amapiano, aber auch Popmusik wie Beyoncé kriegt mich total.