Avva Ballerina im Interview

OnlyFans-Creatorin Avva Ballerina im Talk

Sex Sells: Hinter den Kulissen von OnlyFans

13 Min.

© Sascha van der Werf

Sie kommt pünktlich. Auf den ersten Blick wirkt Avva Ballerina wie das nette Mädchen von nebenan. Blonde lange Haare, ein androgyner Körper und ein rosa Pulli. So stellt man sich eine zarte Balletttänzerin vor. Für die Fotos im Anschluss schlüpft sie in einen zarten Body. Sie wirkt selbstbewusst und unaufgeregt zugleich. Und doch ist sie vorsichtig, sehr überlegt und eher ruhig. Mit ihren 21 Jahren hat sie schon einiges vorzuweisen.

Sie ist ausgebildete Ballerina und seit ihrem 18. Lebensjahr bei OnlyFans. Äußerst erfolgreich, denn sie zählt zu den besten Content-Produzent:innen weltweit auf der berühmt-berüchtigten Social-Media-Plattform. Warum sie wöchentlich fast 90 Stunden arbeitet, das Patriarchat und die einhergehende Doppelmoral in Frage stellt, und welche Parallelen sie zwischen Ballett und Pornografie zieht? Äußerst eloquent überrascht sie uns mit der ungeschönten Wahrheit.

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Avva Ballerina im Interview

Sie sind Balletttänzerin. Wann haben Sie beschlossen, diese Karriere einzuschlagen?

Meine Mutter hat mich ins Ballett geschickt, weil sie dachte, es wäre gut für mich. Da war ich in der Volksschule, etwa fünf Jahre alt. Ich war sehr gut darin und hatte auch Spaß dabei. Schnell wurde klar, ich könnte es professionell machen, da ich den Körper und das Talent hatte. Mit zwölf Jahren habe ich dann täglich mehrere Stunden getanzt und auch die klassische Ausbildung gemacht.

Ballett ist mit viel Disziplin und Ehrgeiz verbunden. Trifft das auch auf Sie zu?

Das bin ich definitiv. Wenn man so jung ist und etwas wirklich durchzieht, auch wenn es nicht immer einfach ist, weil es vielleicht wehtut oder man Momente hat und nicht weitermachen möchte, dann hat das sehr viel mit Disziplin zu tun. Das Wort „ehrgeizig“ mag ich zwar nicht, weil es im deutschen Sprachgebrauch negativ besetzt ist, aber ja, wenn man die Arbeit nicht scheut und seine Ziele konsequent verfolgt und bereit ist, dafür Abstriche zu machen, dann bin ich ehrgeizig.

Welche Abstriche meinen Sie?

Ich bin in meiner Jugend nie mit Freunden ausgegangen. Ich war das erste Mal mit 19 Jahren in einem Club. Ich bin nicht mit Freunden in den Urlaub gefahren, habe keinen Roadtrip oder Ähnliches gemacht. Ich bin aufgestanden, war in der Schule und danach im Training. Meine Tage waren durchgetaktet. Es ist nicht so, dass ich etwas vermisst oder verpasst habe..

Wenn man eine derartige Karriere anstrebt, hat man konkrete Ziele? Ist der Wettbewerb groß?

Das ist beim Ballett anders als bei anderen Sportarten. Man wird nicht etwa an der Schnelligkeit gemessen. Natürlich hat man das Ziel, in eine gute Ballettkompanie zu kommen und eine Rolle innezuhaben, die das Stück trägt, als Solist zu tanzen. Der Wettbewerb ist groß. Das fängt schon in der Akademie an. Man muss sich immer wieder neu bewerben, europazentriert.

Sie sind eine der besten 0,03 Prozent aller OnlyFans-Creator:innen weltweit. Wann haben Sie OnlyFans für sich entdeckt?

Im Lockdown. OnlyFans ist eine Plattform, wo man unterschiedliche Inhalte hochladen kann. Das
kann eine Kochshow sein oder eine Yogakurs. Durch die Pandemie haben immer mehr Sexarbeiterinnen diese Plattform für sich entdeckt und ihre Inhalte hochgeladen. Im Winter 2020 habe ich dann meinen OnlyFans-Account angemeldet.

© Sascha van der Werf

Was genau hat Sie daran gereizt?

Ich finde Pornografie oder sexuelle Inhalte in Verbindung mit Film und Fotografie spannend. Und das mit Körperlichkeit, mit Tanz und sexuellen Inhalten zu verbinden – das finde ich interessant. Ich wollte keinen
Mainstream machen oder mit großen Studios zusammenarbeiten. Bei OnlyFans bin ich mein eigener Boss und kann selbstbestimmt Inhalte hochladen.

Für all jene, die OnlyFans nicht kennen, wie würden Sie es erklären?

Es ist eine Social-Media-Plattform, wie Instagram oder Facebook, wo man einen Account hat. Darauf kann man eigene Inhalte hochladen. In meinem Fall sind es sexuelle Inhalte. Jeder hat eine Biografie, die einen selbst und das, was man macht, beschreibt. Und wenn jemand mehr von den Inhalten einer Person sehen möchte, dann muss man dafür bezahlen. Und es gibt Zusatzfunktionen, wie zum Beispiel das Chatten.

Wenn man bei mir ein Abo kauft, kann man mit mir in Kontakt treten. Und so können meine Abonnent:innen direkt mit mir kommunizieren. Innerhalb dieser Chats, kann ich weitere bezahlte Inhalte teilen.

Das heißt, Sie schaffen eine Vertrauensbasis zu Ihren Abonnent:innen?

Genau, dass unterscheidet OnlyFans von Instagram und Facebook – es ist die Art der Kommunikation und die Vertrauensbasis, die zwischen mir und meinen Abonnent:innen herrscht. Es ist eine superliebe Community, nicht irgendwelche anonymen Nutzer. Man bezahlt dafür, um Teil einer Community zu sein.

Können Sie Abonnent:innen auch ablehnen?

Ich kann sie blockieren. Wenn mich jemand abonniert und komisch ist, dann kann ich ihn blockieren und er bekommt den Abo-Teil rückerstattet. Oder ich kann ihn einschränken, dann kann er meine Inhalte sehen, aber nicht mit mir chatten.

Inwiefern gehen Sie anders mit Nacktheit und Ihrem Körper um, als andere in Ihrem Umfeld?

Jeder geht anders mit Nacktheit und seinem Körper um. Das hat damit zu tun, wie man sozialisiert und erzogen worden ist. Ich bin offen erzogen worden. Ich habe mich nie fürs Nacktsein geschämt. Wenn man sich täglich mit seinem Körper und mit Nacktheit auseinandersetzt, hat man einen viel selbstverständlicheren Umgang damit.

Inwiefern kann OnlyFans feministisch sein und was bedeutet „Feminist Porn“ für Sie?

„Feminist Porn“ ist ein Begriff der Pornografie, der für Darstellerinnen ein Arbeitsumfeld schafft, das feministisch ist. Hier fühlt man sich als Frau wohl, entscheidet selbst über Inhalte und Endprodukt. Das Endergebnis steht für sich und gefällt nicht nur den männlichen, sondern auch den weiblichen Zuseherinnen.

OnlyFans kann diese feministische Arbeitsweise ermöglichen. Es ist eine Plattform, die jedem ermöglicht, wertefrei Inhalte zu produzieren. Als Frau ist man alleiniger Entscheidungsträger.

Sie sind Ihr eigener Boss. Wie sieht ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?

Ich kann das selbst entscheiden, aber ich arbeite sehr viel, denn es ist nicht nur OnlyFans, sondern auch sehr viel Social-Media-Arbeit. Und es ist mehr als Vollzeit, ein 90-Stunden-Job. Man ist Model, Fotografin, Videografin, ich mache mein eigenes Marketing, Sales, ich mache alles selbst.

Ist OnlyFans im Zusammenhang mit sexuellen Inhalten problematisch, wenn man in einer Partnerschaft ist?

Männer konsumieren Pornografie, wenn sie ein Problem damit haben, sollten sie ihr Konsumverhalten überdenken. Das ist für mich Doppelmoral. Wenn man will, dass die eigene Sexualität nur im Privaten
stattfindet, dann sollte man auch keine Pornos konsumieren.

Stärkt OnlyFans die Selbstbestimmung oder ist es auch eine Gefahr für Frauen?

Wenn man OnlyFans wie ich nutzt oder wie viele andere Frauen es nutzen, als Plattform, auf der sie selbstbestimmt Arbeiten produzieren und hochladen können, dann ist es unfassbar empowernd und bereichernd und trägt zur Selbstbestimmung bei. Und auch zu mehr Selbstwertgefühl. Zudem zeigt es, was man als
Frau alles schaffen kann. Ist doch schön, wenn es niemanden gibt, der einem sagt, was man zu tun hat. Man
kann sein eigener Boss sein.

Es ist ein sehr intimer Austausch mit Leuten und man kann oder will nicht immer alles von sich preisgeben.

Avva Ballerina

Gibt es Grenzen, die Sie sich selbst setzen, wenn Sie Content produzieren?

Das ist immens wichtig. Ich denke genau darüber nach, was ich machen möchte. Was ist das Thema meiner Arbeit, was ist der Rahmen, in dem ich arbeiten möchte? Welche Idee habe ich dazu? Und was ist innerhalb dieses Rahmens okay für mich und ab wann überschreitet es Grenzen? Was geht mir körperlich zu nahe? Und was ist mir zu viel?

Das sind Überlegungen, die vorab wichtig sind. Denn sonst kommt man in Situationen, in denen man überrollt wird. Da kann es passieren, dass einem erst später bewusst wird, das war zu viel beziehungsweise so weit wollte ich gar nicht gehen. Es ist ein sehr intimer Austausch mit Leuten und man kann oder will nicht immer alles von sich preisgeben. Ich mache auch Livestreams auf OnlyFans – da muss man vorab entscheiden, welche Anfragen möchte ich entgegennehmen und was ist für mich okay.

Muss man, in so einem Fall, seine Abonnent:innen erziehen?

Es ist wichtig, Grenzen aufzuzeigen. Wenn du mich falsch behandelst, dann gehörst du nicht mehr zu meiner Community. Aber natürlich kann man sie auch erziehen, wobei „erziehen“ das falsche Wort dafür ist, aber es ist wichtig, Grenzen zu kommunizieren, um auch einen Safe Space für sich selbst zu schaffen. Das kann man in der Biografie vorab machen und No-Gos kommunizieren. Es braucht eben eine Community, die für einen selbst angenehm ist.

Wie reagiert Ihr unmittelbares Umfeld auf Ihre Arbeit bei OnlyFans?

Ich kommuniziere das offen, es geheim zu halten wäre wenig sinnvoll. Das will ich auch nicht, denn ich schäme mich nicht für meine Arbeit. Das wäre Doppelmoral.

Sie haben Abonnent:innen und die bezahlen Ihnen Geld. Wie muss man sich das vorstellen?

Das gute an OnlyFans ist, dass immer mehr Menschen verstehen, dass man für pornografische Inhalte bezahlen soll, weil ja auch da absurderweise durch das Internet die Grenzen verschwommen sind. Bei OnlyFans funktioniert das wie bei einem Netflix-Abo. Man bezahlt den Creator:innen Geld indem man sich ein Abo nimmt.

Bei mir kostet ein Abo ungefähr 10 Euro pro Monat. 80 Prozent davon gehören mir und die muss ich natürlich versteuern, 20 Prozent davon gehören der Plattform, dafür, dass sie dir den Zahlungsanbieter bereitstellen.

Geld ist in unserer kapitalistischen Welt für alles ein Grund.

Avva Ballerina

Schnelles Geld ist für viele ein Ansporn. Denken Sie, Geld ist ein guter Grund, um OnlyFans zu nutzen?

Geld ist in unserer kapitalistischen Welt für alles ein Grund. Aber man sollte nie etwas nur fürs Geld machen. Wenn man Pornografie macht, professionell für ein Studio, und man entscheidet sich, es auf OnlyFans zu machen, weil man dort mehr verdient, dann ist es ein guter Grund. Weg von großen Studios, hin zur Selbstständigkeit. Das kann ich gut verstehen.

Aber, wenn ich davor nie in dieser Industrie tätig war und es mich auch nicht interessiert, dann sollte Geld kein Faktor sein. Man muss auch vorsichtig sein, wenn es um mediale Berichterstattungen geht, vor allem wenn die angeben, wie viel man vermeintlich auf OnlyFans verdient. Es ist derzeit ein Hype. Und klar gibt es Creator:innen, die viel verdienen und gut davon leben, aber der Durchschnitt verdient damit 250 Dollar im Monat und wer kann davon leben?

Durchschnittsverdienste kann jeder googeln. Es gibt eine offizielle Liste von OnlyFans auf der man den Durchschnittsverdienst einsehen kann. Bevor man das macht, unbedingt recherchieren und kalkulieren, wie viel man tatsächlich verdienen kann. Gefährlicher empfinde ich den neuen Hype um die OnlyFans-Agenturen.

Das sind meist junge Männer, die Frauen auf Instagram anschreiben und ihnen von 10.000 Euro erzählen, die sie auf OnlyFans verdienen könnten. Sie machen große Versprechen, dass sie sich um alles kümmern, einzig die Frauen müssen ihnen die sexuellen Inhalte zur Verfügung stellen. Hier ist Vorsicht geboten.

Manchmal fühlen sich Frauen unwohl im eigenen Körper. Wie gehen Sie damit um?

Das ist in einem Social-Media-Job schwierig. Man kann nicht sagen, heute fühle ich mich nicht gut, ich lasse die nächsten drei Tage aus. Das hat mit dem Algorithmus zu tun und bedeutet einen Einsturz der Reviews. In dem Sinn ist es schon ein toxisches Arbeitsumfeld. Das geht aber auch im Ballett nicht. Ich kann nicht einfach sagen, ich komme heute nicht zur Probe, denn mir geht’s nicht gut. Wenn man nicht arbeitet, bekommt man keine neuen Subscriber und verdient auch kein Geld.

Warum machen Sie OnlyFans?

Nicht des Geldes wegen. Ich habe keinen genauen Überblick darüber, was ich verdiene, meistens erst dann, wenn
ich meine Steuererklärung machen muss. Ich mache es, weil ich es liebe, kreativ zu sein. Meine eigenen Szenen
zu inszenieren, Foto-Sets zu erstellen und immer wieder Neues zu kreieren. Ich bin fast drei Jahre bei OnlyFans und muss täglich neuen Content produzieren. Das ist auch mein Anspruch und meine Community wächst stetig.

Geht es auch um Aufmerksamkeit?

Jeder der Social Media nutzt, will Aufmerksamkeit. Mir geht es nicht ausschließlich darum, denn mich kann nur sehen, wer mich abonniert. Ich bin kein Influencer, den jeder sehen kann. Es ist vielmehr der Reiz der Exklusivität.

Sie haben mit 18 Jahren mit OnlyFans angefangen und sind heute 21. Machen Sie sich darüber Gedanken, wie lange Sie das machen wollen oder können?

Ich werde es mit Sicherheit nicht ewig machen, weil es viel zu anstrengend ist. Ich habe von Anfang an gesagt, ich mache es so lange, wie es mir Spaß macht.

Werden Sie auf der Straße erkannt und angesprochen?

Wenn man sich dafür entscheidet, in den sozialen Medien aufzutreten, dann muss man sich der Tatsache
bewusst sein, dass man auch erkannt wird. Ich finde es fast unangenehmer, wenn ich merke, dass ich erkannt werde und die Leute beobachten mich und sagen nichts. Und dann reden sie über mich und es hört
nicht auf. In dem Fall ist es mir lieber, wenn man auf mich zukommt und mich anspricht. Dieses vermeintlich heimliche Beobachtetwerden ist viel unangenehmer.

Der einzige Unterschied, Ballett ist pure Hochkultur und Pornografie das Letzte in der Gesellschaft.

Avva Ballerina

Viele Schlagzeilen rund um ihre Person verwenden den Begriff „Porno-Ballerina“ …

Ich bin Ballerina und mache Pornos. Ich spiele damit, das war von vornherein die Idee. Es ist super konträrgesellschaftlich, aber auch wieder gleich. Es gibt viele Parallelen wie: Kamera-Bühne/Publikum-Fans/Körperlichkeit beim Tanzen-Körperlichkeit beim Sex.

Der einzige Unterschied, Ballett ist pure Hochkultur und Pornografie das Letzte in der Gesellschaft. Und deshalb spiele ich gerne mit diesen Begriffen. Ich nenne mich nicht Porno-Ballerina, das finde ich zu extrem, aber ich betone schon, dass ich sowohl Ballett als auch Pornografie mache.

Es macht mir Spaß, Menschen zu enttäuschen, die denken, ich wäre dumm. Wenn sie mit mir sprechen und merken, ich bin eloquent, hinterlässt es sie sprachlos. Ich spiele bewusst mit diesen Vorurteilen.

Sie provozieren bewusst?

Ja, um aufzuklären. Frauen spüren noch zu viel vom Patriarchat. Jeder spricht über Sexarbeiterinnen. Und dabei gibt es mehr als genug Pornodarsteller. Aber darüber redet keiner. Frauen hingegen werden als Schlampe, Hure und dergleichen bezeichnet und sind generell dumm. Ich spiele bewusst mit diesen Vorurteilen.

Was wären drei Punkte, die Sie in diesem Zusammenhang klarstellen wollen?

Man muss sich von dieser Doppelmoral verabschieden, denn Pornografie ist Teil unserer Gesellschaft und wird konsumiert. Ich kann nicht jeden Tag mein Brot beim Bäcker kaufen, aber den Bäcker verteufeln. Wenn man eine Dienstleistung konsumiert, muss man den Dienstleistern auch den nötigen Respekt entgegenbringen. Man darf nicht immer pauschalisieren.

Und dann ist da noch dieser gesellschaftliche Blick auf Frauen, dieses Vorurteil, Frauen machen das nur, weil
sie dazu genötigt werden oder keine andere Möglichkeit haben, um Geld zu verdienen. Und ja, das gibt es auch, aber es gibt auch Frauen, die es gerne machen und Bock darauf haben. Und das ist ganz wichtig zu verstehen, denn dann bekommt es auch einen anderen Stellenwert in der Gesellschaft.

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