Schattenumriss eines Manns vorm Fenster, der seine depressive Freundin tröstet

Wenn Partner:innen an Depression leiden

Nicht lästig sein und nicht fahrlässig: Was Depressiven hilft

7 Min.

Foto: Shutterstock

Die Chance ist groß, dass du jemanden kennst – vielleicht sogar dein Partner, deine Partnerin -, der mit einer Depression zu kämpfen hat. Etwa fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung leidet laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation an Depressionen – das sind 400.000 Personen. (Bei ADHS sehen die Zahlen übrigens ähnlich aus: Bis zu sieben Prozent der Kinder und vier Prozent der erwachsenen Österreicher:innen leiden an der Erkrankung.)

Wann spricht man von einer Depression?

Die ICD-10 (Internationale Klassifikation psychischer Störungen) der WHO gibt Anhaltspunkte. Man unterscheidet zwischen einer leichten, mittelgradigen und schweren depressiven Episode, je nach Anzahl und Häufigkeit verschiedener Symptome. Dazu gehören:

• gedrückte Stimmung

• Interessensverlust

• Freudlosigkeit

• Verminderung des Antriebs

• Erhöhte Ermüdbarkeit

• Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit

• Vermindertes Selbstwertgefühl & Schuldgefühle

• Negative, pessimistische Zukunftsperspektive

Depressive Partner:in: Hohe Dunkelziffer und langes Warten auf Hilfe

Die Dunkelziffer dürfte weit höher sein, denn viele Depressive leiden im Stillen und sprechen kaum über die Erkrankung. Ohne Diagnose fällt man leicht durch das Raster. Als Partner:in eines depressiven Menschen erkennt man früher oder später, wenn der Lieblingsmensch depressive Episoden durchlebt. Und natürlich möchte man dann nur eines: helfen und für den anderen da sein, um die Liebe zu retten.

Sich Hilfe zu suchen, kann aber ganz schön ins Geld gehen und: Die Warteliste auf kassenfinanzierte Psychotherapieplätze ist meist lang. Die Diagnose und mögliche erste Schritte öffnen den Hoffnungsraum, sagt die Psychotherapeutin Katharina Henz im WIENERIN-Interview. Sie ist Systemische Psychotherapeutin und bietet in ihrer Praxis in der Leopoldstadt Einzel-, Paar- und Familientherapie an.

Wie wirken sich Depressionen des Partners oder der Partnerin auf die Liebesbeziehung aus?
Katharina Henz: Die Erkrankung macht sich oft nur schleichend bemerkbar, sodass man sie nicht gleich erkennt. Depressionen entstehen nicht über Nacht, sie bauen sich langsam auf. Manchmal glauben Partner:innen, die erkrankte Person sei vielleicht nicht mehr so interessiert an der Beziehung. Die heikelste Phase ist daher oft jene, in der die Lage bereits unangenehm ist, es aber noch keine Diagnose gibt. Wo nicht klar ist, was mit der Person los ist.

Wäre eine Paartherapie ratsam bei einer Depression?
Bei einer Paartherapie wird nicht per se die Person und ihre Erkrankung therapiert, sondern die Beziehung. Geht es daher um die Beziehung als solche, sollten beide auf der Höhe ihrer Kraft sein, um paarrelevante Entscheidungen treffen zu können. Daher muss man erfragen, ob die Person, die eine depressive Symptomatik hat, überhaupt fit genug für eine Paartherapie ist.

Günstiger ist eine Art partnerassistierte Einzeltherapie. In diesem Fall würde die Person mit der Depression zur Einzeltherapie kommen und der Partner oder die Partnerin werden hin und wieder zur Therapie eingeladen. Man kann sich anschauen, was der:die Partner:in beitragen kann und wie sich die Beziehungsdynamik eventuell auf die Diagnose und die Befindlichkeit der betroffenen Person auswirkt.

Kennt sich aus mit Co-Depression: Psychotherapeutin Katharina Henz
Psychotherapeutin Katharina Henz / Foto: VanDeHart

Welche Anzeichen gibt es bei einer Erkrankung? Woher weiß ich als Partner:in, dass es sich um eine depressive Episode handelt?
Man kann zuerst einen kleinen LOS-Test machen und sich fragen, ob der:die Partner:in antriebslos, freudlos, hoffnungslos oder auch schlaflos und appetitlos ist. Treffen viele Anzeichen zu, könnte es mehr sein als „eine schlechte Phase“ oder „Unzufriedenheit in der Firma“ oder „Winterblues“.

Was kann ich als Partner:in im Verdachtsfall einer Depression tun?
Es kann helfen, die betroffene Person darauf anzusprechen und zu erzählen, dass man über Depressionen gelesen hat und gleichzeitig fragen, ob sich der- bzw. diejenige davon angesprochen fühlt. Gerne vorsichtig nachfragen: „Ist da was dran? Wie siehst du das?“ Es ist wichtig wertschätzend zu kommunizieren und zu betonen, dass man keine Diagnose stellen möchte, sondern sich Sorgen macht.

Der heikelste Moment für Paarbeziehungen? Wenn die Depression bereits vorhanden, aber noch nicht diagnostiziert wurde.

Katharina Henz

Was kann ich tun, wenn die betroffene Person abblockt?

Dann ist das zur Kenntnis zu nehmen. Dennoch darf man ruhig offenlegen, dass man sich dadurch in einem Dilemma befindet. Eine Seite macht sich Sorgen und möchte, dass die erkrankte Person die richtige Unterstützung bekommt, die andere Seite weiß, man sollte sie besser nicht mehr darauf ansprechen. Als Partner:in möchte man nicht lästig und gleichzeitig nicht fahrlässig sein. „Sag du mir, wie ich es richtig machen kann“ – so sollte die Haltung sein.

Wie kann man depressive Partner:innen unterstützen?

Hilfe soll wertschätzend, liebevoll und deutungsoffen sein – mit einer Haltung des Wohlwollens. Die erkrankte Person ist dabei der:die Expert:in für sich selbst, das sollte auch so kommuniziert werden. Folgende Fragen können sehr hilfreich sein: „Was ist das Beste, das ich dir jetzt anbieten kann? Was brauchst du wirklich von mir?“

Kann man seinem oder seiner Liebsten auch eine Therapie vorschlagen oder sogar nahelegen?

Als Partner:in darf ich dieses Thema transparent und offen ansprechen, aber die Entscheidung treffen Betroffene allein. Vielleicht hilft es, zu betonen, dass die erste Stunde bei Psychotherapeut:innen meist ein unverbindliches, kostenloses Kennenlernen ist. Die Vorstellung, zweimal die Woche auf die Couch zu kommen ist für Skeptiker:innen wahrscheinlich nicht sehr angenehm. Einen Schnuppertermin zu vereinbaren, bei dem eine halbe Stunde geplaudert wird, klingt unverbindlicher.

Stichwort Co-Depression: Wie sieht es mit Selbstschutz und Abgrenzung der Person aus, deren Partner:in erkrankt ist? Spielen Schuldgefühle eine Rolle?

Der Selbstschutz spielt eine Rolle, wenn Schuldgefühle im Spiel sind. Trotz der Depression von Partner:innen darf ich natürlich gut auf mich selbst schauen. Oft ist es aber so, dass ein schlechtes Gewissen besteht. Dann kann eine ungesunde Dynamik entstehen, vor allem bei einer sehr lang andauernden depressiven Erkrankung. Manche werden co-depressiv. Eine Selbsthilfegruppe oder eine Beratung bei einer Selbsthilfestelle können sehr hilfreich sein, wenn es um Abgrenzung und Selbstschutz geht. Auch eine Art Angehörigen-Supervision kann der eigenen Psychohygiene dienen.

Wie sehen die Schuldgefühle aus?

Manche trauen sich nicht aus dem Vollen zu schöpfen und das Leben zu genießen, wenn sein:e oder ihr:e Partner:in an Depressionen leidet. Oft hat man auch das Gefühl, man sei unabkömmlich, weil man vielleicht noch der oder die Einzige ist, mit der die erkrankte Person etwas unternimmt.

Triggerwarnung: In der nächsten Frage geht es um Suizidgedanken in Zusammenhang mit Depression. Wie sollte man handeln, wenn Suizidgedanken geäußert werden?

Ich würde dazu raten, diese ernst zu nehmen, aber nicht in Panik zu verfallen. Man sollte zuhören, aufgreifen und nachfragen, ob der:die Betroffene darüber reden möchte oder Unterstützung braucht. Solche Gedanken offen anzusprechen wirkt eher antisuizidal. Das Thema sollte darum nicht tabuisiert werden. Grundsätzlich ist es wichtig, mit Fachleuten zu sprechen, wenn diese Gedanken geäußert werden, vor allem wenn sie häufig wiederkommen und konkreter werden. Holen Sie sich als Angehörige:r Hilfe.

Was kann ich tun, um gut auf mich selbst zu achten?

Alles, was guttut. Für die einen ist das Faulenzen auf der Couch, für andere eher Sport. Partner:innen von Betroffenen geben oft sehr viel von ihrer Energie. Wir haben aber nur einen begrenzten Energietank. Aus diesem Grund ist es wichtig, auf sich zu schauen.

Welche Akut-Hilfestellung für Menschen mit Depression gibt es in Wien?

• Notfallpsychologischer Dienst Österreich Tel.: 0699 / 18 85 54 00, Montag – Freitag von 9:00-17:00 Uhr erreichbar

• Das Suizidpräventionsportal des Gesundheitsministeriums ist auch für Angehörige da: www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention

• Der Sozialpsychiatrische Notdienst steht in Wien rund um die Uhr unter der Rufnummer 01 / 31 330 zur Verfügung.

Abo

Die NEUE WIENERIN