Haben wir zu wenig Sex in einer Langzeitbeziehnung?

Haben wir zu wenig Sex?

Sexualität in Langzeitbeziehungen

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© Pexels/ Dmitriy Ganin

Unsere Sexualität verändert sich im Laufe einer Beziehung. Sexualtherapeutin Magdalena Heinzl erklärt, warum es so wichtig ist, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und wie wir dadurch mehr Intimität mit anderen erfahren können.

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Wer kennt es nicht: Man ist frisch verliebt, die Kuschel- und Glückshormone sprudeln unaufhaltsam aus einem heraus und das Sexleben ist sprichwörtlich auf dem Höhepunkt. Was so erfüllend und wunderschön ist, kann unter Umständen schnell zur Gewohnheit werden und den Reiz verlieren. Nennen wir das Kind beim Namen: Spätestens dann, wenn man zusammenzieht und den anderen schon mal am Klo überrascht hat, wird es mit der spontanen Lust schwierig.

„Spontaneität ist eine Lüge“, sagt Sexualtherapeutin Magdalena Heinzl. Sie leistet mit ihrem Podcast „Sexologisch“ Aufklärungsarbeit zu allen Bereichen der menschlichen Sexualität. In einem neuen Webinar widmet sie sich dem Thema Langzeitbeziehungen.

Sie sagt: „Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr wir manchmal davon überzeugt sind, zu wissen, was der anderen Person gefällt, obwohl das vielleicht gar nicht der Fall ist.“ Sexualität verändere sich nämlich im Laufe des Lebens und der Paarbeziehung – und das ist völlig okay, so Heinzl.

Die Analyse der eigenen Bedürfnisse ist der allererste Schritt zu einer positiven Veränderung.

Sexualtherapeutin Magdalena Heinzl

Haben wir wirklich Zeit füreinander?

Das sei die wichtigste Frage, die sich Paare stellen müssen, sagt Magdalena Heinzl. „Viele denken, die Lust fällt vom Himmel und man muss spontan sein.“ Enttäuschung und Frust sind dann quasi vorprogrammiert. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass beide immer zur gleichen Zeit Lust aufeinander haben. Spontan sein ist auch nur dann möglich, wenn Zeit dafür da ist. Termine für gemeinsame Paarzeit zu vereinbaren, ist durchaus sinnvoll“, so die Sexualtherapeutin.

Das Credo lautet also: Wir nehmen uns Zeit füreinander und schauen, was passiert. Das gute alte Kuscheln oder eine Massage kann intime Momente schaffen, durch die oft „mehr“ entsteht, weiß die Expertin.

Sexualtherapeutin Magdalena Heinzl rät zu Kommunikation und weniger Stress.
© Pexels/ Danik Prihodko

Warum haben wir Sex?

„Sexualität und Lust entstehen aus einem Minimum an Distanz.“ Das sei auch der Grund, warum die meisten Paare zu Beginn ihrer Beziehung häufiger Sex haben als später. „Das Ungewisse und das Neue erzeugen Spannungen in unserem Körper, durch die viele Menschen Lust generieren.“ Sich ein Date oder eine Überraschung für den anderen zu überlegen, kann diese Spannung ein Stück weit wieder zurückholen.

„Man darf sich auch die Frage stellen: ‚Warum möchte ich eigentlich Sex?‘ Bei den meisten Paaren ist früher oder später ein unterschiedliches Lustempfinden vorhanden.“ Die Dynamiken seien oft dieselben: Dabei übernimmt der „verlangensschwächere“ Part logischerweise die Kontrolle über das gemeinsame Sexleben. Die Person, die mehr Lust hat, startet irgendwann keine Annäherungsversuche mehr, weil sie permanent abgelehnt wird.

Aber auch auf der anderen Seite wird Stress ausgelöst, weiß Magdalena Heinzl. Das Wissen um das Vorhandensein dieser Dynamik kann für Paare schon sehr hilfreich sein. „Jeder Mensch ist für seine Lust und seine Sexualität selbst verantwortlich – dieser Gedanke kann sehr entlastend sein. Es ist völlig okay, auch mal selbst Hand anzulegen“, sagt Heinzl.

Wenig Sex, mehr Kommunikation

„Um Nähe und Intimität zu schaffen, ist ein stabiles Selbst sehr wichtig. Dazu gehört auch, ein Nein zu akzeptieren, ohne gekränkt zu sein.“ Sicherheit in der Interaktion schafft mehr Intimität. „Je mehr wir lernen, die Gespräche über Sex in der Partnerschaft zu kultivieren, desto gefestigter wird die Beziehung.“

Das Sexualleben sagt nicht zwingend etwas über die Qualität der Liebesbeziehung aus, betont Heinzl. Sehr viele Paare führen eine liebevolle Beziehung mit einer innigen Bindung, obwohl sie vielleicht vergleichsweise wenig sexuell aktiv sind.

„Schnell macht man sich Druck, der auch aus den gesellschaftlichen Erwartungen entsteht“, so Heinzl. „Sollte ich häufiger Sex haben? Ist es ein Zeichen, dass unsere Beziehung schlecht ist?“ – das seien oft Fragen, die in diesem Prozess aufkommen. „Qualität steht vor Quantität. Wichtig ist, sich anzuschauen, wie sich beide beim Sex fühlen, wie gut sie in Kontakt miteinander treten und ob wirkliche Intimität dabei entsteht.“ Wer sich aber trotzdem nach Veränderung sehnt, kann durchaus etwas tun.

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Verführungskompetenz erarbeiten

In der Sexualtherapie werden sogenannte „Verführungskompetenzen“ erarbeitet, erklärt Magdalena Heinzl. „Man lernt, die andere Person für ein gemeinsames, sexuelles Projekt zu begeistern.“ Die Realität ist oft eine andere: „Viele legen Anti-Verführungskompetenzen an den Tag. Anschuldigungen wie ‚Du findest mich nicht mehr attraktiv‘ führen tendenziell nicht dazu, dass die andere Person Lust verspürt“, so Heinzl.

Wer profitiert von welcher Handlung? Ein Werkzeug, das Paaren dabei helfen kann, mehr Achtsamkeit und Intimität zu schaffen ist ein 3-Minuten-Spiel, welches aus dem Konzept „Wheel of Consent“ kommt.

„Es ist eine gute Möglichkeit, um zu schauen, was man beim Sex wirklich will und welche Formen der Berührung Lust erzeugen.“ Dabei überlegt sich jeder Part, WIE man die andere Person drei Minuten lang berühren möchte, um selbst ein Wohlgefühl zu bekommen. „Es kann sehr interessant und gleichzeitig verbindend sein, zu erforschen, was man eigentlich wirklich schön findet.“

Wer sich traut, seine Bedürfnisse zu äußern, schafft damit Sicherheit und Nähe in der Beziehung.

Sexualtherapeutin Magdalena Heinzl

Bei einer zweiten Runde wird die Frage gestellt: Wie möchtest DU von MIR berührt werden? „Dabei geht es nicht darum, etwas zu tun, was man nicht möchte. Nicht jede Praktik bringt beiden Partner:innen gleich viel Lust“, so Heinzl. „Wenn man vielleicht selbst nicht von der Handlung profitiert, kann es schön sein, den anderen etwas aus vollem Herzen zu geben.“

Bei dieser Übung käme oft viel hoch, weiß die Sexualtherapeutin. Viele gelangen zur Erkenntnis, dass Praktiken für den anderen vielleicht gar nicht so lustbringend sind, wie sie dachten. „Vielleicht tut man auch etwas für den anderen, auch wenn man selbst nicht zu 100 Prozent davon profitiert. Solange man die eigenen Grenzen nicht überschreitet, kann man dem anderen auch einmal ein Geschenk machen.“

Bei einem Nein gäbe es immer die Möglichkeit der Adaption, so die Expertin: Wer gerade keinen Geschlechtsverkehr möchte, könnte andere Handlungen vorschlagen: Zum Beispiel nackt zu kuscheln, sich zu küssen, den:die andere:n mit der Hand zu stimulieren. „Sex kann so vieles sein. Freier zu werden und Möglichkeiten zu finden, nimmt den Stress raus und bringt beiden etwas“, so die Sexualtherapeutin.

Kommunikation kann man üben

Paare, die ihre Bedürfnisse dem anderen ohne Konsequenzen mitteilen dürfen, fühlen sich einander näher, sagt Magdalena Heinzl. Solche Prozesse können in einer Sexualtherapie in einem Einzel-oder Paarsetting unterstützt und begleitet werden.

„Sexualität darf sich ein Leben lang entwickeln und verändern. Wer sich traut, seine Bedürfnisse zu äußern, schafft damit Sicherheit und Nähe in der Beziehung.“

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