Chancen und Risiken von OnlyFans

OnlyFans: Chancen und Risiken von virtueller Sexarbeit

Digitale Begierde

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Blankziehen und abcashen: Geld mit OnlyFans zu verdienen, erscheint einfach. Wozu ein Studium oder eine Ausbildung, wenn man auf OnlyFans das große Geld machen kann? Der schnelle Reichtum mit nur wenigen Klicks bringt traditionelle Bildungswege ins Wanken. Eltern sind besorgt um die Moral ihrer Teenies, während vermeintliche Vorbilder aka Influencer:innen, Reality-Stars und Co. mit expliziten Inhalten auf OnlyFans teils mehr als manch:e Spitzenpolitiker:in verdienen und die finanziellen Vorzüge unverblümt im Netz präsentieren.

Doch hinter den kontroversen Kulissen der Social-Media-Plattform verbergen sich nicht nur ethische Bedenken, sondern auch überraschende Chancen und Veränderungen. OnlyFans hat sich nicht nur als umstrittener Ort der Selbstvermarktung etabliert, sondern auch als eine Alternative, die es Prostituierten ermöglicht, von den gefährlichen Straßen wegzukommen.

In einem Spannungsfeld aus moralischen Debatten und sozialem Wandel erklärt die versierte Sexual- und Paartherapeutin Mag. Nicole Kienzl im Interview mit der WIENERIN, warum sie dem Phänomen OnlyFans positiv gegenübersteht.

Was hat Ihrer Meinung nach dazu geführt, dass OnlyFans in den letzten Jahren so populär geworden ist?

Mag. Nicole Kienzl: OnlyFans erlebte den großen Aufschwung während der Pandemie, als viele Sexarbeiter:innen keinen physischen Kontakt mehr ausüben durften. Durch personalisierte Videos, Bilder und Nachrichten ermöglicht die Social-Media-Plattform den User:innen einen individuellen Zugang zu den Creator:innen. Dies schafft die Illusion einer persönlichen Verbindung zu Creator:innen, als könne man diese Personen auch im realen Leben treffen und so viel mehr über sie erfahren. Dieser persönlichere Zugang schafft eine gewisse Nähe und Intimität.

Häufig wird OnlyFans mit weiblichen Creator:innen in Verbindung gebracht. Wie sehen Sie die Plattform in Bezug auf Männer und ihre Beteiligung?

Man kann sich auf OnlyFans so präsentieren, wie man es möchte. Jede:r hat eine Stimme. Ein Punkt, der für die Plattform spricht, ist diese Diversität. Trotzdem ist der Großteil der OnlyFans-Creator:innen weiblich, die Nutzer:innen hingegen sind hauptsächlich männlich. OnlyFans ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Unsere Gesellschaft ist eben nicht, oder nur wenig, feministisch.

Man könnte als Argument auch sagen, dass Männer einfach mehr sexuelle Impulse haben als Frauen. Aber Fakt ist, dass die zahlenden Personen hauptsächlich Männer sind, was dazu führt, dass die Plattform mehr auf die Bedürfnisse und Erwartungen dieser Zielgruppe ausgerichtet ist und Frauen verstärkt in der Rolle der Anbieterinnen erotischer Inhalte gesehen werden.

Frauen haben das Recht, persönlichen Profit aus unserer sexistischen Gesellschaft zu ziehen.

Mag. Nicole Kienzl
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Wie sehen Sie die Rolle von OnlyFans im Kontext der sexuellen Befreiung und Selbstbestimmung? Wie feministisch ist OnlyFans wirklich?

Auf OnlyFans gibt es keine Zuhälter:innen, Produzent:innen oder Regisseur:innen, wie es sie in der Prostitution oder in der Pornoindustrie gibt. Allein deswegen ist OnlyFans wesentlich selbstbestimmter als andere Sexarbeiten. Der wichtigste Unterschied zur Prostitution ist auf jeden Fall, dass der physische Kontakt wegfällt, wodurch die eigenen Grenzen besser abgesteckt werden können.

Ich würde nicht sagen, dass OnlyFans feministisch ist, aber es ermöglicht feministisches Handeln. Ich möchte nichts verallgemeinern, aber man weiß, dass in der Pornoindustrie ein großer Konkurrenzdruck herrscht. Darsteller:innen lassen sich oft zu Dingen überreden – auch aus finanziellen Gründen –, die sie dann eigentlich bereuen.

Aber herrscht nicht auch auf OnlyFans ein gewisser Konkurrenzdruck? Creator:innen zeigen vielleicht mehr, als sie eigentlich möchten, um mehr Geld zu verdienen..

Ja, diesen Druck gibt’s sicherlich auch auf OnlyFans. Dennoch glaube ich, dass das Ausmaß in der Prostitution oder im Pornogewerbe ein ganz anderes ist. Gewalt ist hier leider immer noch ein großes Thema. Auf OnlyFans ist man geschützter, weil es diesen physischen Kontakt eben nicht gibt. Für viele Prostituierte ist OnlyFans eine Möglichkeit, dem harten Prostitutionsgeschäft zu entkommen. Studien zeigen, dass neun von zehn Prostituierten bereits sexuelle Gewalt erlebt haben oder sexuell missbraucht wurden.

Welche Risiken und Herausforderungen sehen Sie im Zusammenhang mit der Veröffentlichung intimer Inhalte, sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene?

Es besteht auf jeden Fall die Gefahr, dass junge Menschen ihre Grenzen überschreiten und für Geld Videos und Fotos veröffentlichen, die sie so eigentlich nicht mit der Öffentlichkeit teilen würden. Aufdringliche Nutzer:innen, die immer mehr sehen wollen, können Creator:innen auch unter Druck setzen. Zudem glaube ich, dass mehr Arbeit dahintersteckt, als viele vielleicht vermuten. Dieser ständige Kontakt mit den User:innen und die Content-Erstellung können sehr aufwendig und mühsam sein.

Stichwort „Das Internet vergisst nie“: Es scheint so, als ließe sich auf der Plattform schnell viel Geld machen. Sind sich junge Menschen aber über mögliche Auswirkungen und die Folgen diesbezüglich bewusst?

Man kann sich mit OnlyFans sicherlich ein bisschen was dazuverdienen, aber man muss sich auch bewusst sein, dass man sich nicht sicher sein kann, wo die Inhalte letztendlich überall im Internet landen. Was einmal im Internet ist, bleibt auch dort. Wenn ich als Creator:in versuche, auf OnlyFans Fuß zu fassen und später aber doch als Lehrer:in oder Erzieher:in arbeiten möchte, wird es wahrscheinlich schwierig. Das Internet hinterlässt seine Spuren und darüber muss man sich im Vorfeld bewusst sein.

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Glauben Sie, dass es notwendig ist, strengere Richtlinien und Gesetze für Plattformen dieser Art zu etablieren, um Missbrauch und Ausbeutung zu verhindern?

Die Sicherheitsvorkehrungen sind auf OnlyFans auf jeden Fall um einiges besser als auf den meisten anderen Erotik-Plattformen. Als Creator:in muss man bei der Registrierung eine Kreditkarte vorweisen und einen Gesichtsscan durchführen. Natürlich könnte man das wahrscheinlich umgehen, wenn man möchte. Deswegen sind eine ausreichende Sexualaufklärung und Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen unumgänglich. Vom Staat wird hier eindeutig viel zu wenig gemacht.

Viele Eltern geben bei diesem Thema auch oft die Verantwortung ab und sind der Meinung, dass ihre Kinder keine sexualisierten Inhalte schauen. Aber durch Mitschüler:innen oder ältere Geschwister sind sie zwangsläufig früher oder später mit Pornos und Co. konfrontiert. Darum ist es total wichtig, dass Eltern diese Verantwortung nicht den Schulen oder dem Staat überlassen.

Was raten Sie jungen Frauen, die mit OnlyFans schnelles Geld machen möchten?

Sie sollten sich darüber bewusst sein, was sie zeigen wollen und wo ihre Grenzen sind. Aber auch wie viel Zeit sie dafür aufwenden möchten und ob es für ihre spätere Berufswahl Folgen haben könnte. Man kann sich auch ästhetisch sinnlich zeigen und nicht gleich Hardcore-Pornos drehen. Wer damit startet, sollte auf jeden Fall auch noch andere Einkommensquellen haben und nicht erwarten, mit OnlyFans das große Geld zu machen.

Das Sexgewerbe ist eines der ältesten der Welt. Dennoch gibt es nach wie vor zahlreiche Vorurteile diesbezüglich – oft mit einem negativen Beigeschmack. Beeinflusst OnlyFans die Akzeptanz und die Art und Weise, wie sexuelle Arbeit in unserer Gesellschaft wahrgenommen wird?

Ich denke schon. Alleine, dass man für die Inhalte auf OnlyFans bezahlt, erzeugt eine gewisse Wertschätzung und Respekt gegenüber den Creator:innen, die ihren Körper zeigen. Das ist auf Porno-Plattformen nicht der Fall, wo es Tausende gratis Videos gibt. Frauen haben die Möglichkeit, sich lustvoll zu zeigen und damit Geld zu verdienen.

Es ist ein Irrglaube, dass Frauen weniger Lust haben als Männer. Viele haben Spaß daran und OnlyFans bietet ihnen eine Plattform, auf der sie das ausleben können, ohne Unterdrückung oder Gewalt zu erleben. Es gehört zur weiblichen Freiheit aus dieser sexistischen Gesellschaft, in der wir leben, persönlich Profit zu erzielen.

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