Diese Frauen sind gescheitert – das haben sie gelernt
Misserfolge als Chance
Foto: Unsplash/Neom
Wer scheitert hat verloren, sollte aufgeben, sich besser nach etwas anderem umsehen – so lautet die weitverbreitete Meinung. Die Fehlerkultur in unserer Gesellschaft lässt zu wünschen übrig: In Unternehmen dürfen sich Angestellte bloß keine Pannen erlauben, sonst drohen Konsequenzen. Für das Konzept Trial and Error, also Versuch und Irrtum, um aus den Fehlern zu lernen, haben die meisten nichts übrig. Kreative Ideen bleiben in der Schublade liegen, Scheitern ist ein No-Go und ein Vorankommen wird unmöglich.
Mut zum scheitern
Dabei ist ein spezifisches Gefühl ganz präsent und blockiert auch jeden noch so kleinen Schritt in eine andere Richtung: lähmende Angst. Wer etwas Neues wagt, braucht Mut – und manchmal auch Budget für die Umsetzung. Über Schulden oder Kredite wird oft nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen.
Misserfolge feiern
Die Learnings aus diesen Irrtümern und den missglückten Vorhaben sind dabei oft jene, die zum Erfolg führen. Wer schon einmal das berühmt berüchtigte „Aufstehen und Krone richten“ hinter sich hat, bekommt das Rüstzeug für das nächste Projekt gleich gratis mit.
Stolpern am Weg zum Ziel
Solche Fehlschläge werden in Wien immer wieder bei den sogenannten „Fuckup Nights“ besprochen. Gescheiterte Unternehmer:innen stehen auf einer Bühne, ziehen Schlüsse aus ihren Erfahrungen und erklären einem breiten Publikum, was sie daraus gelernt haben. Eine von ihnen ist Marika Sokol. Die gebürtige Tschechin leitet fünf Unternehmen, ist verheiratet, Mutter von zwei Kindern und hat im Alter von 23 Jahren ihre erste Firma gegründet.
Die Wirtschaftspädagogin und Soziologin baute gleich nach dem Studium eine Unternehmensberatungsfirma auf, die bis heute erfolgreich besteht – die ITO United Change CZ. „Wir Unternehmer:innen sind immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen und Inspirationen“, sagt die heute 49-Jährige im Interview.
Aus diesem Grund übernahm sie später zusätzlich die Personalleitung bei einer großen Baumarktkette, um auch als Managerin die Kompetenzen der Führung zu erlangen. Plötzlich stand eine 70- bis 80-Stunden-Woche an: „Wenn ich etwas ändern könnte, würde ich in dieser Phase wesentlich härter sein zu mir als Mutter. Ich liebe diese Rolle nämlich, die ich in dieser Zeit stark vernachlässigte“, gesteht sie. Schließlich gab sie den Job auf, war aber nicht weniger motiviert, etwas Neues zu schöpfen. Sie absolvierte Modedesign-Kurse und fing an UV-Badeanzüge mit langen Ärmeln zu designen und sie in einem Shop hinter dem Burgtheater zu verkaufen: „Ich bin selbst Schwimmerin. Ich wollte ästhetische Bademode kreieren, die vor der Sonne schützt“, erzählt sie.
Die Leidenschaft für Mode und Sport reichte aber nicht aus: „Ich war ein No-Name im Fashion-Bereich. Niemand wollte meine Badeanzüge um 260 Euro kaufen“, erzählt Marika. „Das war ein Fuck-up, weil ich es nur für mich gemacht habe.“ Fokus, Analyse und Finanzcontrolling hätten gefehlt: „Das mache ich heute viel intensiver und professioneller“, so die Unternehmerin. Trotz der Schließung bereut sie das Scheitern der Idee aber nicht. Im Gegenteil, es sei sogar sehr belebend: „Ich konnte mir finanziell leisten, mit diesem Vorhaben zu scheitern. Ruinieren und demotivieren, darf einen so ein Fuck-up natürlich nicht.“
Scheitern gibt Wissen und Abstand
Man dürfe nicht gleich aufgeben, betont die Unternehmerin: „Man muss weitersuchen und sich stückchenweise ausprobieren, in Stille zuhören, Zahlen als Partner sehen.“ Diese Learnings halfen ihr bei weiteren Vorhaben: Neben einem Unternehmen in Südkorea und Firmen in Tschechien, eröffnete Marika Sokol kürzlich einen
Laden im 6. Bezirk in der Esterházygasse 11a, in dem Aloe-Vera-Produkte aus eigenem Bioanbau in Griechenland verkauft werden. Vor einem erneuten Scheitern hat sie aber keine Angst: „Wenn man als Unternehmerin Niederlagen erlebt, sollte das jemanden nicht so emotional berühren wie private Schicksalsschläge.“
Dass aus einem beruflichen Scheitern ein privater Rückschlag werden kann, musste die Unternehmerin Simone Janak feststellen. Die 45-Jährige war viele Jahre in der Marketingführung eines Kosmetikkonzerns angestellt, bis sie schließlich ins Burn-out schlitterte. „Höher, schneller, weiter“ lautete das Motto: „Ich habe über Jahre meine Grenzen ignoriert“, erzählt sie. Dass sie diese überschritten hatte, erkannte sie trotz eines Zusammenbruchs an Board eines Flugzeuges nicht.
Aus gescheitert wurde: ‚Ich bin gescheiter.‘
„Ich wollte es nicht wahrhaben, dass ich nicht mehr konnte“, sagt sie. Die gehäuften Krankenstände kumulierten dann schließlich in der Erkenntnis, dass es vorbei war. „Hier ist das Ende, ich bin gescheitert, ich habe versagt“, lauteten die Sätze in Simones Kopf. Nach einem Jahr zu Hause, einem Umzug und der Hochzeit mit ihrem Ehemann schien es bergauf zu gehen: „Aus gescheitert wurde: ‚Ich bin gescheiter‘“, so Simone über die neu gewonnene Erkenntnis, bis sie ein Schicksalsschlag ereilte: Gebärmutterhalskrebs. Nach einer Operation wurde sie aber wieder vollständig gesund. „Ich hatte mich nach meinem Burn-out intensiv mit Psychologie, Ernährung, Bewegung und Entspannung beschäftigt. Dass mein Körper plötzlich nachgibt, fühlte sich erneut wie scheitern an“, erzählt die 45-Jährige. Nach ihrer Genesung bekam sie ein Kind und fand schließlich eine neue Berufung: Sie arbeitete bei einem Online-Startup, das Menschen bei der Gewichtsreduktion unterstützte. Simone Janak fand dadurch ihr eigentliches Talent und fungierte als Motivations- und Mindset-Coachin. Allerdings löste sich das Unternehmen von heute auf morgen auf. Obwohl die heute 45-Jährige diesen Rückschlag erneut als Scheitern wahrnahm, führte er zu ihrer wirklichen Berufung und in die Selbstständigkeit. Jetzt hilft sie vor allem Frauen bei der Umsetzung ihrer Ziele in unterschiedlichen Bereichen. Was sie aus ihrer Vergangenheit gelernt hat? „Hab Vertrauen, dass das alles für irgendetwas gut ist, und geh einfach den nächsten kleinen Schritt.“
was wir vom scheitern lernen
So macht es Anja Eberling. Die 38-Jährige befindet sich mitten im Ummodelungsprozess. Das Konzept fürs eigene Business ging zunächst nicht so ganz auf. Die Wienerin hat ihren Job in einer großen Rechtsanwaltskanzlei an den Nagel gehängt und fing nach einem Segeltörn mit ihrem Ehemann an, umzudenken. Schon damals stand fest: In ein Angestelltenverhältnis möchte sie nicht mehr zurück.
Dieses Vorhaben wurde noch mehr bestärkt, als die Unternehmerin bei der Geburt ihrer zweiten Tochter schwere Blutungen erlitt: „Ich hatte einen Gebärmutterhalsriss und bin fast gestorben“, erinnert sie sich. „Dadurch hat sich meine ganze Einstellung verändert. Für mich ist jeder Tag etwas Besonders. Mich kann nichts so schnell aus der Bahn werfen“, berichtet sie.
Schließlich kam ihr die Idee zum eigenen Business, als sie eine Location zum Mieten entdeckte. Die heute 38-Jährige griff zu und richtete die 300 Quadratmeter im 13. Bezirk neu ein, um sie für Hebammen-Beratungsstunden weiterzuvermieten. „Mein Traum war, einen Salon für Mütter und Hebammen zu erschaffen.“ Das Konzept von „Madame Mama“ ging leider nicht auf: „Es stellte sich heraus, dass Hebammen doch lieber Hausbesuche machen. Auch die Coronapandemie machte alles schwieriger.“ Jetzt versucht die 38-Jährige gerade, aus den vier Praxis- und zwei Gruppenräumen, die sie liebevoll gestaltet hat, einen Ort für Frauennetzwerke zu schaffen – inklusive Goodies wie eine Gin-Tonic-Bar, Düfte, Yogamatten und Sitzecken zum Wohlfühlen. „Selbstständig zu sein heißt, dass man sich jeden Tag neu erfinden muss“, weiß sie heute. Ihre Erfahrung aus dem Scheitern: „Man darf sich selbst nicht unterschätzen. Das, was man macht, hat einen Wert. Wenn ich ihn selbst erkenne, dann erkennen ihn vielleicht auch andere.“
Dieser Artikel erschien in der Juli/August-Ausgabe 2023 der WIENERIN.
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