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Immer mehr Paare hinterfragen das Konzept der Monogamie. Paartherapeutin Claudia Bernt erklärt, warum sich manche Menschen offene Beziehungen ausüben und wie erste Schritte für Paare aussehen können.
Ganz ehrlich: Wie oft hinterfragst du die eigene Vorstellung von Beziehung und romantischer Liebe? Dass unsere
Sozialisierung eine große Rolle im Beziehungsleben spielt, ist uns oft gar nicht bewusst. Die Monogamie – also emotionale und körperliche Exklusivität – ist bis heute gesellschaftlich und kulturell tief verankert.
Wie die Studienlage beweist, funktioniert dieses Konzept aber nicht für alle: „40 bis 70 Prozent der Bevölkerung hat Erfahrung mit nicht einvernehmlicher Nicht-Monogamie, also Affären und Betrug“, weiß die Paar- und
Sexualtherapeutin Claudia Bernt. „In unserer Gesellschaft gehen wir von einer Mono-Normativität aus. Das heißt, dass Monogamie als normal gilt.“
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Feminismus ändert Beziehungsbild
„Durch die wirtschaftliche und soziale Gleichstellung kam es unter anderem auch zu einer größeren Gestaltungsfreiheit des Intimlebens. Früher waren Frauen oft von ihren männlichen Partnern abhängig“, so die Expertin.
Durch die Ausweitung des Internets wird die sexpositive Kultur außerdem sichtbarer und zugänglicher. Laut Claudia Bernt sollte sich jedes Paar Gedanken darüber machen, was Monogamie für es bedeutet und welche
Modelle eventuell noch infrage kommen. Begrenzungen sorgen nämlich oft für Unzufriedenheit. „Die Lebenserwartung hat sich verlängert, was dazu führt, dass auch Paare länger zusammenleben. Jahrzehnte der sexuellen und emotionalen Exklusivität wird von vielen Menschen zunehmend als unrealistisches Ideal angesehen“, sagt sie.
Das Öffnen der Beziehung funktioniere für viele Menschen sehr gut, weiß die Therapeutin aus ihrer Praxis. Erste Überlegungen. Im ersten Schritt sei es wichtig, darüber nachzudenken, was man unter einer offenen
Beziehung überhaupt versteht, so Bernt. Während die Beziehung auf rein sexueller Ebene geöffnet werden kann, binden sich manche auch emotional an andere.
Dann spricht man von Polyamorie. „Paare sollten sich fragen, wie viel Zeit und Ressourcen in die Beziehungen außerhalb der eigenen investiert werden dürfen. Wie oft trifft man jemanden? Wie sehen diese Dates aus? Welche Art von Sex ist akzeptabel?“
Wer sich auf Neuland begibt, muss natürlich viele Gespräche führen.
Claudia Bernt, Paartherapeutin
Unterschiedliche Bedürfnisse
Sind diese Bereiche auf intellektueller Ebene erstmal geklärt, kommt noch etwas ganz anderes – sehr wichtiges – ins Spiel: Die guten alten Gefühle. Oft kann sich eine Person schneller in ein neues Beziehungsmodell denken, während der:die Partner:in vielleicht noch zögert. „Manchmal machen sich auch Verlustängste breit“, weiß die Therapeutin.
Was passiert, wenn ich dem Bedürfnis meines Partners oder Partnerin nicht nachkomme? „Manche Klient:innen
haben aus Angst, dass sie im Fall einer Ablehnung ihre:n Partner:in verlieren würden, einer Mitwirkung zugestimmt.
Dann ist es notwendig, diesen Personen zu helfen, ihre eigenen Werte und deren Auswirkung zu erforschen. Es ist also ein Ausverhandeln und ein langsames Herantasten. Nicht alle wollen sich trennen, wenn eine Person erstmal verneint“, weiß die Expertin.
Tempo anpassen
Dann geht es an die tatsächliche Umsetzung. „Therapeutisch gesehen sollte man sich dem Tempo der Person anpassen, die sich langsamer verändern möchte“, rät Claudia Bernt. Kommunikation spielt – wie so oft – eine große Rolle. „Paare befinden sich dabei in einem ständigen Prozess, der immer wieder evaluiert werden muss.“
Wie geht es mir wirklich damit? – Eine Frage, die man sich wiederholt stellen muss. Die Dynamik jeder Beziehungssituation ist eine andere: „Eine:r ist vielleicht gerade beruflich eingespannt oder findet niemanden für ein Date. Das kann zu unterschiedlichen Tempi führen.“ So ging es auch Sofia* (*Name auf Wunsch von der Redaktion geändert) und ihrem Partner, mit dem sie seit über fünf Jahren zusammen ist.
Nach anderthalb Jahren begann die heute 29-Jährige das Konzept der Monogamie zu hinterfragen. „Ich hatte damals vermehrt Kontakt zu Leuten, die nicht-monogam lebten, und habe mich auch mit Hilfe von Büchern intensiver damit auseinandergesetzt“, erzählt sie im Interview. „Ich fragte meinen Partner, ob er sich eine Öffnung vorstellen könnte. Er wollte es prinzipiell nicht ausschließen, aber hatte gerade keinen Kopf dafür“, erzählt sie.
Dann wurde das Thema erstmal auf Eis gelegt. „Man spricht dabei von einem Fall-out“, erklärt Paartherapeutin Claudia Bernt. „In einer Therapie oder einem Coaching würde man versuchen, das Paar zu ermutigen weiterzusprechen, wenn keine Einigung über die Fortsetzung des offenen Lebensstils erzielt werden kann. Es gilt, die am wenigsten störende Ausstiegsstrategie auszuverhandeln und Möglichkeiten zu finden, individuelle Bereiche oder Bedürfnisse, die in der Beziehung nicht ausgelebt werden können, zu lösen.“
Ein paar Monate später sprach Sofia ihren Freund noch einmal darauf an, der dann sein Einverständnis gab. Zuerst hatte Sofia ein Date, ohne körperlichen Kontakt. Wir wollten sehen, wie es sich für uns beide anfühlt. Nach einem Jahr kam dann auch mal ein Kuss dazu“, erzählt sie. „Am Anfang hatte mein Freund Schwierigkeiten. Er hat sich während des Dates Versicherung bei mir eingeholt, aber irgendwann legte sich seine Angespanntheit dann.“
Kommunikation für offene Beziehungen
Für Sofia hingegen begann ein spannender Prozess, bei dem sie experimentieren, aber auch viel über sich selbst lernen konnte. Obwohl es sich die 29-Jährige sehr gewünscht hätte, war ihr Freund noch auf keinem Date außerhalb ihrer Beziehung. „Ich würde gerne wissen, wie ich mich dabei fühle“, sagt sie.
Bislang kann sie nur für sich sprechen: „Später hatte ich auch Sex mit anderen und kann nur sagen: Ich habe meinen Freund zu keinem Zeitpunkt weniger geliebt.“ Sofia holte sich immer wieder die klare Zustimmung von ihrem Partner.
Die Grenzen sind sehr klar definiert: Das Paar möchte sich emotional treu bleiben. „Ich bekomme oft die Frage gestellt: ‚Hast du nicht Angst, dass sich jemand verliebt? Aber ich finde, das kann auch einfach so passieren. Dafür muss man nicht in einer offenen Beziehung sein.“
Mittlerweile lebt das Paar nach einer kurzen Beziehungspause wieder monogam. „Die Pause hatte andere Gründe. Beziehungsmodelle dürfen meiner Meinung nach fluide sein.“ Zu einer Veränderung würde sie nur bei einer gefestigten Beziehung raten, sagt Sofia: „Das Öffnen ist sicherlich kein Problemlöser. Es ist wichtig zu beachten, wie man sich gerade allgemein fühlt und wie stabil man ist. Auch, ob man bereit ist, sich mit dem Thema Eifersucht auseinanderzusetzen und zu schauen, woher sie kommt.“
Der Hauptfaktor einer Beziehung ist für mich nicht die
Sofia
Endgültigkeit.
Eine gute Gesprächskultur und offene Kommunikation sind die Basis, um den Prozess überhaupt zu starten, sagt Paartherapeutin Claudia Bernt: „Wichtig ist auch, gut mit den eigenen Bedürfnissen verbunden zu sein bei gleichzeitiger Bezogenheit auf den:die Partner:in. Da geht oft ein Spannungsfeld auf“, so die Therapeutin.
„Der Prozess Beziehungsneuland zu erforschen und zu betreten, kann manchmal schmerzlich sein, aber auch sehr gewinnbringend für die Beziehung und somit sehr schön für beide.“
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