Handynutzung: Kennst du diese Dos & Don’ts?
Bildschirmzeit, Datenschutz, Entsperrcode: 12 Tipps
© Unslash/Amanda Vick
Ein Leben ohne Smartphone und Internet: Für Kinder und Jugendliche nicht vorstellbar – genauso wenig wie für ihre Eltern. Und doch entzünden sich in vielen Familien ständig Streits, wenn es um die Handynutzung der Kinder geht. (Am liebsten wäre den Eltern ständiges Digital Detox ihrer Kinder…)
Verbote, Umgehen der Bildschirmzeit, Handy wegnehmen: Muss alles nicht sein, sagt Erziehungs- und Medienwissenschaftlerin Jessica Wawrzyniak: Sie ist Autorin des Ratgebers „Screen Teens. Wie wir Jugendliche in die digitale Verantwortung begleiten“ (Kösel Verlag) – und hat dieses Buch vor allem geschrieben, „um Eltern die Panik zu nehmen, den Anschluss zu ihren Teenagern zu verlieren. Und um die Generationen auf eine Augenhöhe zu bringen.“
Digital unterwegs: Kinder können überfordert sein und Eltern auch
Selbst als Teenager mit Web und Social Media aufgewachsen, kann sie nachvollziehen, wie schnell junge Screen Teens auch einmal überfordert sein können von den digitalen Angeboten. Zugleich weiß sie, wie auf der anderen Seite, bei den Eltern, manchmal das Nichtverständnis angesichts der jugendlichen Handynutzung wächst: „Genau da will ich ansetzen und zwischen den Generationen vermitteln.“
Handynutzung: 12 Dos & Don’ts FÜR Eltern & KINDER
Wenn Kinder ein Smartphone bekommen, dreht sich vieles um Verbote und strenge Bildschirmzeiten. Doch entscheidender ist es, den angehenden Screen Teens digitale Verantwortung beizubringen. Deshalb hat Jessica Wawrzyniak für alle Eltern diese Dos & Don’ts für die Handynutzung von Kindern aufgestellt und kommentiert:
Do
Akzeptieren, dass (fast) alles Analoge heutzutage digital ist
„Bei vielen gibt es immer diese Barriere im Kopf – das eine ist analog, das andere digital. Doch heutzutage hat sich vieles an Tätigkeiten und Handeln ins Netz verlagert. Ein Beispiel: Es schließen aktuell immer mehr Bankfilialen und Kund:innen müssen auf das Angebot im Web ausweichen. Die Handlung bleibt ‚Bankgeschäft‘. Das ist in anderen Fällen und Lebensbereichen auch so – und wird auch noch weitergehen.“
Don’t
„Früher-war-alles besser“-Rhetorik oder Vergleiche, wie man damals auch ohne das Smartphone zurechtgekommen ist
„Das ist kein gutes Argument: Da schalten Jugendliche auf Durchzug. Sie verstehen es auch nicht – denn sie kennen es nur so, wie es heute ist. Auch eine Mediensucht vorschnell vorzuwerfen ist nicht zielführend – aus ähnlichen Gründen.“
Do
Durch Gespräche mit den Kindern am Ball bleiben, was die neusten Apps und Trends sind
„Liebe Eltern, einfach Augen zu und durch. Wichtig ist, zuzuhören, selbst wenn euch die App oder das neuste Game partout nicht interessieren. Denn in den Äußerungen des Kindes verstecken sich viele wichtige Hinweise: Mit wem spielt es das Game, was genau findet es an einem Social-Trend spannend, worum geht es ihm bei der Nutzung des Smartphones usw.“
DOn’t
Aufgeben beim Verstehen der jugendlichen Mediennutzung
„Wie gesagt: Eltern sollten immer am Ball bleiben und sich alles anhören. Ob euch euer Kind das Interesse abnimmt? Nun, das hängt davon ab, wie geschickt ihr euch anstellt…“
DO
Bei Verdacht: Das Kind um Einsicht ins Handy bitten (Handy in der Hand des Kindes lassen)
„Jeder hat die gleichen Rechte auf Privatsphäre. Auch Kinder. Andersherum gilt natürlich auch für dein Kind: Es darf dir dein Handy nicht aus der Hand reißen, wenn es dir darauf etwas zeigen will.“
DON’T
Heimlich in das Handy des Kindes schauen und Nachrichten lesen
„Eltern müssen bei der Handynutzung auf ihr Kind aufpassen und es dabei begleiten. Aufpassen heißt aber nicht überwachen! Heimlich mitzulesen ist deshalb Tabu. In vielen Familien kennen die Eltern zwar den Entsperr-Code des Smartphones ihrer Kinder. Aber sie gehen nicht heimlich an das Gerät. Wie man das handhabt, muss jede Familie individuell aushandeln. Besser ist es, wenn sich die Eltern ganz raushalten. Aber ich kann verstehen, wenn sie den Code kennen möchten – und mit dem Kind ausmachen: ‚Ich schau nur mit dir zusammen ins Handy, der Code ist für Notfälle.‘ Evaluieren und aushandeln ist immer gut, denn so setzt sich das Kind mit seiner eigenen Mediennutzung auseinander. Solche Vereinbarungen gilt es irgendwann anzupassen: Mit 16 Jahren ist es kein Zustand mehr, seinen Eltern noch den privaten Code zu gewähren.“
DO
Verständnis für den Wunsch des Ausprobierens im Jugendalter entgegenbringen. Gespräche behutsam beginnen und Fehlbarkeit betonen
„Gut ist immer, wenn man einen konkreten Gesprächseinstieg hat. Eltern sollen ruhig erzählen, dass sie auch schon mal eine Phishing-Mail angeklickt haben oder auf Falschnachrichten reingefallen sind.“
DON’T
Vorwürfe, wenn das Kind Opfer von Cybermobbing oder Cybergrooming wurde. Oder wenn es auf Fake News oder Phishing hereingefallen ist
„Der erste Impuls ist sicher zu sagen: ‚Kind, wie konntest du nur! Wie konntest du so ein Bild von dir aufnehmen, wie konntest du es verschicken?!‘ Das ist aber ein falscher Impuls. Angenommen, es hat ein Nacktbild an seinen Schwarm oder die beste Freundin weitergeleitet – da hat sich das Kind etwas anderes gedacht, als am Ende herausgekommen ist. Das Kind leidet also schon darunter und schämt sich. Was jetzt hilft, ist trösten statt das Kind aufzurütteln. Im nächsten Schritt kann man den Fehler besprechen, damit es versteht, was falsch gelaufen und worauf es beim nächsten Mal achten muss.“
DO
Sich neue Apps vom Kind erklären lassen und aufgeschlossen reagieren. Nicht sofort Panik schüren und Verbote aussprechen
„Keine Sorge, bei vielen Apps stecken dieselben Mechanismen dahinter wie Fotos austauschen, chatten, Belohnungen einsammeln. Wichtig ist, dass Eltern jede App und ihre Funktionen gemeinsam mit dem Kind durchgehen und besprechen – auf jeden Fall immer die Datenschutzeinstellungen anpassen!“
DON’T
Neue Apps verteufeln und auf den möglichen Gefahren herumreiten
Oft steckt dahinter nur die Angst von Eltern, Neuem nicht hinterherzukommen. Ich rate zu Entspannung und Begleitung – siehe oben.“
DO
Bedürfnisse der Jugendlichen herausfinden und berücksichtigen
„Hinter jeder Mediennutzung steckt ein Bedürfnis. Bei Social Challenges wollen Kinder zum Beispiel Mut, Stärke und Durchhaltevermögen beweisen und sich einer Gruppe zugehörig fühlen. Schreibt das Kind stundenlang auf WhatsApp, hat es vielleicht Probleme zu bewältigen oder es will Gefühle und Emotionen erleben. Auf Social Media kann es die eigene Identität entwickeln oder auch aus der Realität fliehen… Das herauszufinden, ist Aufgabe der Eltern, wenn sie ihr Kind digital begleiten.“
DON’T
Aus eigener Perspektive (Erwachsenen-Blickwinkel) auf Mediennutzung schauen
„Kinder nutzen die Medien nun mal ganz anders als Erwachsene. Das gilt es zu akzeptieren, ansonsten fehlt bereits eine grundlegende Gesprächs- und Vertrauensbasis.“
Do
Werte und Kompetenzen vermitteln. Ganz analog
„Alles aus dem analogen Leben braucht man auch im Digitalen. Ob es ein Gefühl für die Privatsphäre ist, Sozialkompetenz als moralischer Kompass – hier wie da geht es um das Gleiche. Im Digitalen braucht es also keinen völlig neuen Strang in der Erziehung. Haben Eltern das verstanden, erklärt es sich auch besser.“
Don’t
Allein Social Media für das Verhalten des Kindes verantwortlich machen
„Jugendliche suchen sich zwar auch online ihre Vorbilder aus, an denen sie sich orientieren, aber die Basis ihres Handels und Verhaltens, schauen sie ich im privaten Umfeld ab – vor allem bei Eltern und Geschwistern.“
Do
Die Wurzel der Probleme besprechen, statt das Handy vorschnell einzukassieren
„Es ist ein Irrglaube, dass mit einem Handyverbot das Problem behoben ist. Nehmen wir das Beispiel Nacktbild versenden: Es geht darum, zu verstehen, warum das Kind das gemacht hat: Ist es gedrängt worden? Ist es verliebt? An diese Gründe muss man rangehen und darüber reden, das Kind aufklären. Sonst passiert es wieder, sobald das Kind sein Handy zurückbekommen hat und es kein Gespräch gab.Oder nehmen wir das Thema Mobbing: Auch das läuft weiter durch die Gruppen, selbst wenn das Handy abgenommen wurde. So macht man nur die Augen vor dem Problem zu anstatt es anzugehen.“
Don’t
Inflationär mit Handyverbot umgehen
„Grundsätzlich würde ich unterscheiden zwischen Handyverbot als Strafe und Handyverbot für bestimmte Zeiten, z.B. beim gemeinsamen Familienessen. Auf die Strafe kann man zurückgreifen, wenn man merkt: Gut, wir haben das Problem besprochen, aber der Jugendliche wiederholt den Fehler immer wieder. Dann ist es sinnvoll, das Handy einzukassieren. Aber es muss vorher einiges passiert sein, damit Eltern zu diesem letzten Mittel greifen. Beim Handyverbot müssen Eltern auch mitbedenken: Was entzieht man dem Kind noch? Zum Beispiel den Kontakt zum besten Freund, der vielleicht jetzt aber ganz wichtig wäre.“
Do
Mehr auf die Inhalte achten, statt auf die Zeit (Qualität ist wichtiger als Quantität)
„Kein Kind sollte unbegrenzt am Handy herumdaddeln, das ist klar. Doch bei den Grenzen sollten Eltern mehr auf die Inhalte schauen statt auf die Uhr. Es geht nicht so sehr um die Gesamt-Bildschirmzeit, sondern darum, was das Kind am Handy eigentlich macht. Gemein ist es, per App das Handy zu einer bestimmten Uhrzeit oder nach einer vorgegebenen Dauer automatisch auszuschalten – das provoziert die Konflikte erst. Und für uns als Erwachsene wäre es ja genauso frustrierend, wenn zum Beispiel der Video-Call mit der besten Freundin einfach abbricht…“
Don’t
Strenge, minutengenaue Regulierung der Medienzeit
„Das Thema ‚Bildschirmzeit‘ aus den Köpfen herauszuholen, ist schwer. Leichter ist es, wenn sich beide Parteien auf Einheiten verständigen – und zwar solche, wie man sie aus anderen Lebensbereichen auch kennt. Zum Beispiel: So lang, wie eine Schulpause dauert, darfst du zuhause mit deinem Freund den Call machen. Oder das Game ein Level lang spielen. Gerade bei Games – die ja darauf angelegt sind, dass es nie ein Ende gibt –, darf man nicht erwarten, schon nach einer Woche die perfekte Medienzeit gefunden zu haben. Da müssen sich beide Seiten herantasten.“
Do
Konkrete, alltägliche, greifbare Beispiele nennen, wieso die eigene Privatsphäre geschützt werden sollte
„Unbedingt gemeinsam mit dem Kindern die Datenschutzeinstellungen durchgehen, damit sie sensibilisiert sind, worauf sie achten müssen. Damit nimmt man sich auch den Stress raus, dass man nicht alles gut macht. Irgendwann ist man da perfekt und wenn das Kind sich selbst Apps herunterlädt, weiß es dann, worauf es achten muss. Dabei geht es nicht nur um technische Einstellungen , sondern z.B. auch um das Recht am eigenen Bild usw.“
Don’t
Regeln ohne ausführliche Begründung aufstellen
„Kinder brauchen gute Begründungen. Sie brauchen den Kontext. Sonst verstehen sie nicht, worum es geht und können nicht daraus lernen – und eines Tages selbstverantwortlich mit digitalen Angeboten umgehen.“
Do
Als Vorbild vorangehen: Private Fotos schützen und eigene Mediennutzung regulieren
„Wasser predigen und Wein trinken war noch nie eine gute Idee. Wenn das Kind ein Smartphone bekommt, wird sicherlich als erstes ein Messenger installiert, schließlich soll Kontakt zu den Eltern gehalten werden. Wenn diese dann fröhlich Bilder der letzten Familienfeier im Status posten, bekommen sie an der Stelle ein Glaubwürdigkeitsproblem.“
Don’t
Fotos der Kinder, Familienfeiern und Urlauben teilen; Handy am Tisch, stundenlanges Chatten/Telefonieren…
… siehe „Do“.
Do
Kindern digitale Alternativen vorstellen zu den Monopolisten, die seine Daten verkaufen
„Ich finde es wichtig, Kindern zu vermitteln: Bei den meisten Apps, hinter denen eine große Werbemaschinerie steckt, verfügen die Unternehmen über viele Geldmittel, mit denen sie die alternativen Anbieter erdrücken können. Dass eine App von großen Massen genutzt wird, sagt über ihre Qualität nicht viel aus. Kinder sollten Alternativen, vor allem quelloffene, lizenzfreie Programme kennenlernen, die nicht auf das Sammeln und Verkaufen von Daten aus sind.“
Don’t
Aus Bequemlichkeit Fast-Food servieren
„Das Fast-Food der digitalen Welt sind für mich WhatsApp, Teams, Zoom, Skype und sämliche Apps, die im PlayStore als erstes empfohlen werden. Sie sind beliebt, aber nicht gesund. Es gibt datenschutzfreundlichere Messenger, Kommunikationsdienste und Apps für die ganze Familie. Eine Kurzrecherche zahlt sich aus.
In vielen Workshops, die ich in Schulen gemacht habe, fanden Teenager individualisierte Werbung nicht schlimm. ‚Ist doch praktisch‘, haben sie gemeint, ‚dass mir Produkte vorgeschlagen werden, die ich eh gut finde.‘ Ich habe zwar geschafft, dass sie über Tracking und die Anfeuerung von Kauflust nachdenken. Aber ob es langfristig geholfen hat, weiß ich nicht. Dennoch: Das Wissen darüber, Alternativen zu kennen, sie zu sensibilisieren, ist der erste Schritt. Ob sie letztlich doch zu den altbekannten Apps greifen, ist eine andere Frage – aber zumindest ist der Gedanke gesät, über kopflosen Konsum nachzudenken.“
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