„L’amour toujours“: Warum Songverbote keine Lösung sind
Keine Bühne für Rassismus
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Gigi D’ Agostinos „L’amour toujours“ steht im Kreuzfeuer der Kritik. Der Sylt-Skandal zeigt: Um gegen Rassismus anzukämpfen, müssen weitreichendere Schritte unternommen werden.
Junge Menschen, die feiernd auf der Ferieninsel Sylt zum Partyhit von DJ Gigi D’ Agostino ausländerfeindliche Parolen grölen. Die Szenen eines Videomitschnitts verbreiteten sich Ende Mai in den Medien wie ein Lauffeuer. Der Schock und die Entrüstung in der weißen Mehrheitsgesellschaft war groß. Radiosender verbannten den Song, der eigentlich von Liebe handelt, von ihren Playlists und auch auf großen Volksfesten wie der Wiener Kaiser Wiesn und dem Münchner Oktoberfest wird das Lied bis auf weiteres nicht gespielt. Eine Reaktion, die kurzfristig rechtsextreme Anhänger:innen zum Schweigen bringt, doch ist dies wirklich die Lösung eines Problems, das viel tiefer verwurzelt zu sein scheint?
„Rassismus lässt sich nicht stoppen, indem man Musik verbietet“, so der italienische DJ selbst zu den Reaktionen auf das ausländerfeindliche Gegröle zu seinem Party-Hit „L‘amour toujours“. Drei Monate nach dem Vorfall ist es an der Zeit, das Thema eingehender zu betrachten. Wir haben mit der Anti-Rassismus Expertin Désirée Sandanasamy gesprochen und Stimmen aus der Musikbranche zu Wort kommen lassen.
Sylt-Skandal ist Kein Einzelfall
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Gigi D’Agostino’s Hit aus dem Jahr 2000 nicht der erste Song war, der für rechtsextreme Parolen zweckentfremdet wurde. Vor fast zehn Jahren wandelte eine Schweizer Neonazi-Band „Tage wie diese“ von den Toten Hosen in eine rechtsextreme Hymne um. Die deutsche Band um Frontmann Campino distanzierte sich ausdrücklich davon und leitete rechtliche Schritte ein.
Dass der Vorfall auf Sylt kein Einzelfall ist, bestätigt auch Désirée Sandanasamy, Rechtsberaterin bei der ZARA-Beratungsstelle !GegenRassismus. Im Interview erklärt sie: „Wenige Tage bevor der Vorfall auf Sylt bekannt wurde, haben wir einen ähnlichen Fall gemeldet bekommen, ebenfalls mit dem gleichen Lied und ähnlichen Parolen. Solche Dinge geschehen immer wieder. Für uns als Verein war es nicht überraschend, da uns bewusst ist, dass solche Vorfälle tagtäglich passieren. Besonders schockierend war für mich aber die Entspanntheit, mit der die Täter:innen ihre Aktionen gefilmt und online gestellt haben. Das zeigt, wie salonfähig offener Rassismus in unserer Gesellschaft geworden ist.“
Aus den Augen, aus dem Sinn?
Laut deutscher Polizei hat das Fachkommissariat für Staatsschutz die Ermittlungen gegen die Personen des viral gegangenen Videos aus Sylt wegen Volksverhetzung und des Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen aufgenommen. Ob die Täter:innen wirklich ein rechtskräftiges Urteil erwartet, bleibt allerdings fraglich. Die Rechtsexpertin bestätigt, dass in der Vergangenheit ähnliche Fälle, die die Organisation ZARA (kurz für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) begleitete, im Ermittlungsverfahren eingestellt wurden.
Trotz der Verschärfung des Verhetzungsparagraphen im Jahr 2015 wurden die Aussagen als nicht verhetzend und somit als nicht rechtswidrig eingestuft. „Umso wichtiger ist es, dass das Thema nach dem großen medialen Aufruhr Ende Mai jetzt nicht wieder in Vergessenheit gerät. Es muss weiterhin ein Diskurs darüber stattfinden, denn nur so entsteht politischer Druck, damit die vorhandenen Rechtsinstrumente in Zukunft auch entsprechend genutzt werden“, so Désirée Sandanasamy.
Zwischen den Zeilen
Offen für einen Diskurs, wie man in Zukunft mit ähnlichen Vorfällen umgehen könnte, zeigte sich Kronehit-Programmchef Georg Spatt. Der Privatsender hat nach dem Sylt-Skandal entschieden Gigi’s „L‘amour toujours“ auf öffentlichen Veranstaltungen vorerst zu pausieren. „Es ist ein schmaler Grat, so eine Diskussion weiter zu befeuern und den Initiator:innen damit unnötig viel Aufmerksamkeit zu schenken, oder aber so einen Vorfall zum Anlass zu nehmen, das Thema entsprechend vielfältig einzuordnen“, erklärt Georg Spatt auf Anfrage der WIENERIN. Der Sender habe in diversen Moderationen und Beiträgen zu Partys und Festivals das Thema eines friedlichen und respektvollen Umgangs angesprochen und seine Haltung diesbezüglich in Gesprächen mit Veranstalter:innen und Partner:innen klar gemacht.
Mediale Resonanz
Obwohl die mediale Aufmerksamkeit „L‘amour toujours“ wieder in die vordersten Ränge der Radiocharts katapultierte, wird der Song bei Kronehit vorerst nur auf expliziten Hörer:innenwunsch oder zu passenden Anlässen gespielt. So handhabt es auch der Privatsender Radio Energy Österreich, wie uns Programmchef Bernhard Rathmayr mitteilte. Hitradio Ö3 verdeutlichte hingegen, dass der Song weder von DJs auf Ö3-Veranstaltungen, noch auf Wunsch von Hörer:innen im Radio gespielt wird.
Die Reaktionen der Radiosender und Veranstalter:innen sorgte landesweit für viel Kritik. Einen Song auf grund des Vorfalls nicht mehr zu spielen, schade in erster Linie dem/der Künstler:in selbst. Auch das Wort „Cancel Culture“ machte immer wieder die Runde. Zuletzt wurde Gigi D’Agostinos Auftritt am FM4 Frequency Festival im August kurzfristig abgesagt. Unsere Anfrage zu den Gründen für die Absage blieb unbeantwortet. Auf Facebook äußerten sich die Veranstalter:innen mit einem kurzen Statement, dass die Absage jedenfalls nichts mit der Situation rund um den Song „L‘amour toujours“ zu tun habe.
Verständliche Reaktionen
Dass sich Konzertveranstalter:innen und Radiosender von dem Song distanzieren sei zwar nicht die Lösung des Problems aber laut Désirée Sandanasamy nachvollziehbar: „Ich kann nachvollziehen, dass man sich persönlich davon distanzieren will und sagt, dass man damit nichts zu tun haben möchte, indem man den Song aus dem Programm nimmt. Aber eine nachhaltige Lösung ist das nicht. Rassismus ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt, und wir alle sind in einem rassistischen System sozialisiert. Es reicht nicht, einfach nur einen Song nicht mehr zu spielen; das Problem liegt viel tiefer und erfordert aktive Arbeit, um Rassismus abzubauen.“
Künstlerische Solidarität
Wie ein Lösungsansatz aus Künstler:innensicht aussehen könnte, zeigt die deutsche Band „Das Lumpenpack“. Anfang des Jahres wurde ihr Song „Kann es sein, dass du dumm bist?!“ in den sozialen Medien vermehrt von Menschen mit rechtsgelagerten Ideologien genutzt, um ihre Meinung musikalisch zu unterstützen. Im Februar äußerte sich die Band auf TikTok dazu, dass sie zwar nicht direkt gegen diese Art der Nutzung vorgehen könne, dennoch aber dafür Verantwortung übernehmen würde, indem die Einnahmen des Songs an das Hilfsprogramm „Exit“ gespendet werden, das dabei unterstützt, mit dem Rechtsextremismus zu brechen und aus rechten Organisationen auszusteigen.
Für ZARA-Rechtsexpertin Désirée Sandanasamy diese Reaktion ein Schritt in die richtige Richtung: „Die Band zeigt damit Allyship und Zivilcourage, indem sie versucht, etwas Positives daraus zu machen. Es ist natürlich die persönliche Entscheidung der Künstler:innen, aber ich finde es wichtig, Verantwortung zu übernehmen. Anstatt sich nur zu distanzieren, versucht man, das Problem zu adressieren.“
Gemeinsame Verantwortung
Neben Aufklärung und Sensibilisierungsarbeit plädiert die Anti-Rassismus-Expertin auch für Awareness-Teams auf Veranstaltungen sowie für eine engere Zusammenarbeit und gegenseitige Beratung zwischen Organisationen, Medien und Künstler:innen. Aber auch als Einzelperson könne man mit Zivilcourage bereits vieles bewirken. „Ich bin überzeugt, dass der meiste Alltagsrassismus im öffentlichen Raum stattfindet.
Wenn man sieht, dass jemand herablassend oder diskriminierend behandelt wird, ist es wichtig, etwas dagegen zu tun. Für betroffene Personen ist es oft schmerzhafter, dass die Mehrheit der Menschen, die danebensteht, nicht reagiert.“ Natürlich solle man sich selbst nicht in Gefahr bringen. Aber es sei bereits sehr hilfreich, solche Vorfälle zu dokumentieren und an ZARA zu melden. Denn die Organisation sammelt alle Meldungen in einer eigens dafür vorgesehen Falldatenbank, welche wiederum für Berichte und Analysen anonymisiert aufgearbeitet wird. Diese Berichte sind eine wichtige qualitative Quelle, um auf das Ausmaß von Rassismus hinzuweisen und ihn sichtbar zu machen. Im Zweifelsfall solle man sich außerdem immer an Veranstalter:innen wenden oder die Polizei rufen.
Was unserer Gesellschaft wirklich fehlt, ist die Bereitschaft, unangenehme Gespräche zu führen.
Désirée Sandanasamy, ZARA-Rechtberaterin
„Auch wenn ein Familienmitglied immer wieder ausländerfeindliche Ansichten äußert, ist es unsere Aufgabe, mit ihm zu sprechen. Das ist zwar unangenehm, aber notwendig, besonders angesichts des Rechtsrucks, den wir in Europa beobachten. Ich glaube, was unserer Gesellschaft wirklich fehlt, ist die Bereitschaft, unangenehme Gespräche zu führen.“
Der Vorfall auf Sylt und die darauffolgende Diskussion um Gigi D’Agostinos „L‘amour toujours“ verdeutlichen, dass kurzfristige Maßnahmen wie das Verbot eines Songs allein nicht ausreichen, um tief verwurzelten Rassismus zu bekämpfen. Die mediale Aufmerksamkeit und die Reaktionen auf die Zweckentfremdung des Liedes mögen symbolisch sein, doch sie lösen nicht das zugrunde liegende Problem. Viele Veranstalter:innen, Artists sowie bekannte Streamingdienste wollten sich auf Anfrage der WIENERIN zu diesem Thema nicht äußern.
Dabei wäre es an der Zeit, dass jede:r Einzelne von uns aktiv Verantwortung übernimmt und den nötigen Diskurs vorantreibt, um eine Gesellschaft zu schaffen, in der Rassismus keinen Platz hat. Musik sollte uns letztlich daran erinnern, dass uns mehr verbindet, als uns trennt.
WIE SINNVOLL IST ES, POPULÄRE SONGS ZU BOYKOTTIEREN, DIE FÜR AUSLÄNDERFEINDLICHE PAROLEN MISSBRAUCHT WURDEN?
„Zunächst bleibt festzuhalten, dass Musik da ist, um zu verbinden und nicht um zu spalten. Sonst wäre es nicht die Sprache, die jeder fühlen kann. Songs zu verbieten, die von Menschen verschandelt werden, die oft Pech beim Denken haben, bringt allerdings gar nichts. Warum? Spoiler: Man kann jedes Lied der Welt mit hirnlosem Inhalt verunstalten. Wenn jemand betrunken mit dem Auto fährt, verurteilt man auch nicht die Tankstelle, sondern den Menschen.“
Paul Pizzera, Kabarettist & Musiker (Pizzera & Jaus und AUT of ORDA)
„Ich finde es schrecklich, dass etwas so Wunderbares wie Musik von Menschen dazu missbraucht wird, ausländerfeindliche Parolen zu verbreiten. Ich halte es für wichtig und richtig, dass so etwas unterbunden wird! Allerdings finde ich es schade und unfair, wenn aus diesem Grund die Musik eines Künstlers nicht mehr gespielt wird, der für einen solchen Missbrauch nicht verantwortlich ist. Die Verantwortlichen für diesen Missbrauch müssen zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden. So etwas darf auf keinen Fall geduldet werden.“
Esther Graf, Sängerin & Songwriterin
„Für mich als Urheber ist es natürlich problematisch einen Song zu ‚canceln‘, wenn er durch eine inoffizielle Umtextung sinnentfremdet wird. Auch sehe ich hier nur das Symptom überdeckt, was wenn, dann nur sehr kurzzeitige Wirkung hat. Wollen wir so aussehen als würden wir etwas tun, oder wollen wir tatsächlich etwas tun? Das ist die Frage.“
Cesár Sampson, Sänger und Schauspieler
„Ich halte das für völlig absurd, weil es im Endeffekt niemandem weiterhilft. Meiner Meinung nach wäre es sogar sinnvoller, dem Song mehr Raum zu geben, aber in Kombination mit einer klaren Botschaft, die über das eigentliche Problem aufklärt. Wenn solche Lieder nicht mehr gespielt werden dürfen, müsste man konsequenterweise auch rechte Politiker von öffentlichen Auftritten ausschließen, bei denen sie ihre Parolen verbreiten. Alles andere wirkt für mich wie Pseudoaktivismus.“
Mira Lu Kovacs, Sängerin und Songwriterin („5K HD“ und „My Ugly Clementine“)
„Man muss natürlich immer den konkreten Fall für sich bewerten, aber generell sollten wir versuchen mit positiven, weltoffenen Botschaften dagegenzuhalten und Songs nicht generell sofort verbannen. Wenn wir einen Song in so einem – definitiv zu verurteilenden – Fall automatisch aufgeben, geben wir diesen furchtbaren Parolen eine viel zu große Bühne.“
Bernhard Rathmayr, Programmchef von Radio Energy Österreich
„Musik existiert immer in einem Kontext. Dieser Kontext wird manchmal von den Artists beabsichtigt, und manchmal wird er erst von außen mit einer politischen Agenda künstlich hergestellt – so wie es kürzlich das Schicksal von „L’ amour toujours“ war. Wenn so etwas passiert, finde ich es nicht ratsam, zu ignorieren, dass der Song nun im Volksmund etwas anderes bedeutet als in seiner ursprünglichen Form. „L’ amour toujours“ und Sylt sind für den Moment miteinander verbunden – da hilft es meiner Meinung nach vorerst nur, den Song zu umgehen, bis die Zeit reif ist, ihn wieder in einem anderen Kontext zu sehen.“
Theresa Ziegler, Musikjournalistin und Co-Gründerin Supercute Productions
„Mit Hach und Huch wird man solchen Besetzungen nicht beikommen. Man muss sie gegen ihre Besetzer richten. Es braucht keine Spielverbote, sondern klare Statements in den An- und Abmoderationen. Wer ein solches Lied hört, muss wissen, dass es Idioten sind, die besoffen dazu etwas anderes grölen.“
Gerhard Ruiss, Geschäftsführer der IG Autorinnen Autoren
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MEHR ÜBER DIE REDAKTEURIN:
Als Redakteurin der WIENERIN erkundet Laura Altenhofer gerne die neuesten Hotspots der Stadt. Besonders angetan hat es ihr jedoch die vielfältige Musikszene Wiens. Ob intime Clubkonzerte oder große Festivalbühnen – man findet sie meist dort, wo die Musik spielt.
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