Beauty-Trend: Was können Ear Seeding und Ohrakupunktur wirklich?

©Shutterstock

Ear Seeding und Ohrakupunktur erhalten durch Social Media enormen Aufschwung, Schönheitsbehandlungen stehen dabei im Fokus. Bringt das was? Wir haben bei Expertinnen nachgefragt.

Face Contouring durch Ear Seeding

“Nein, das ist doch verrückt“, schreibt eine TikTok-Userin begeistert zu ihrem Video über Ear Seeding. Dabei handelt es sich um eine Form der Ohrakupressur, bei der kleine Kügelchen mit Pflastern auf bestimmte Punkte am Ohr geklebt werden. Je nach getroffenem Punkt werden dadurch unter anderem Stress, Verspannungen, Schlafprobleme oder Angstzustände behandelt. Auf Social Media steht vor allem die Anregung des Lymphflusses im Vordergrund – User:innen versprechen sich dadurch eine Abschwellung des Gesichts, quasi ein natürliches Face Contouring, eine „Jawline über Nacht“.

So auch besagte TikTokerin, die ihr Gesicht vor und nach einer Behandlung mit Kügelchen am Ohr filmt und vermeintlich definierte Wangen- und Kieferknochen präsentiert. Dabei fällt auch oft das Stichwort „Cortisol Face“, was zwar rein medizinisch betrachtet keine wirkliche Diagnose wäre, aber in den sozialen Medien als Synonym für ein durch Stress aufgequollenes Gesicht, Unreinheiten und einen fahlen Teint steht. Kann also ein Kugerl oder eine Nadel am Ohr wirklich in wenigen Minuten Abhilfe schaffen? Und was ist überhaupt der Unterschied zwischen Ear Seeding, Akupressur und Ohrakupunktur? Anica Joggerst, Mitgründerin der Wellbeing-Marke Rhoots, Gerlinde Rodemund, Ärztin für Akupunktur und Vorsitzende der Ärzt:innen für Akupunktur, sowie Kathrin Sperker, Inhaberin der Gesundheitspraxis Sperker, klären auf.

Das Ohr als Landkarte

Unser Ohr ist in der traditionellen chinesischen Medizin in zahlreiche Reflexzonen und Akupunkturpunkte eingeteilt, die den gesamten Körper widerspiegeln. Jeder Punkt steht über Nervenbahnen in Verbindung zu Organen, Muskeln, dem Hormonsystem oder emotionalen Zuständen – so gibt es unter anderem den sogenannten Shen-Men-Punkt für Entspannung, den Point Zero, um den Körper ins Gleichgewicht zu bringen, einen Punkt fürs Herz und einen für die Leber.

Am Ohr eine Behandlung anzusetzen, ist demnach durchaus sinnvoll: Bei der Ohrakupunktur mit Nadeln sowie bei Ohrakupressur ohne Nadeln, auch Ear Seeding genannt, werden die gewünschten und individuell festgelegten Punkte stimuliert. Eine derartige Behandlung wirkt vor allem stärkend und entspannungsfördernd, wie die drei Expertinnen einstimmig festhalten. „Durch das Setzen der Akupunkturnadeln oder Magnetpflaster zur Akupressur werden an bestimmten Punkten im Ohr Reize gesetzt, welche eine beruhigende Wirkung auf das vegetative Nervensystem ausüben und so körperliche und psychische Spannungszustände reduzieren, Selbstregulierungskräfte anregen, Angst lindern, Schlaf und Konzentration fördern, die Psyche stabilisieren, den Lymphfluss anregen und Entzugssymptomatiken reduzieren und verkürzen können“, erklärt Kathrin Sperker.

Sie selbst setzt in ihrer Gesundheitspraxis auf die sogenannte NADA-Ohrakupunktur, bei der gezielt fünf Punkte am Ohr mit Nadeln oder Magnetkugelpflastern behandelt werden: Shen Men, Vegetativum, Niere, Leber und Herz/Lunge. Bei anderen Praktiken gibt es noch zahlreiche weitere Punkte, die man vor allem mit genauem Wissen präzise auswählen kann.

Ohrakupressur für daheim

Wie Dr. Gerlinde Rodemund, Ärztin für Akupunktur, betont, gibt es in der traditionellen chinesischen Medizin verschiedene Methoden behandelnder Therapeut:innen, um die richtigen Punkte individuell auswählen zu können. Vor allem in den sozialen Medien sind allerdings Kits mit Kugeln zum Selbstkleben im Trend – wie kann das funktionieren? Ein exaktes Treffen der richtigen Punkte bei Eigenbehandlung ohne Erklärung sei zwar schwierig, wie Rodemund erklärt, allerdings könne eine unspezifische Akupressur und Ohrmassage ebenfalls wirkungsvoll und angenehm sein.

„Ein kleiner Reiz am Ohr kann eine große Wirkung im Körper entfalten“, stimmt Anica Joggerst, Mitgründerin der deutschen Wellbeing-Marke Rhoots zu. Sie und ihre Kollegin Patricia Fies stießen aufgrund von Migräneanfällen und Panikattacken selbst auf Ohrakupunktur und -pressur und wollen nun mit eigens kreierten Ear-Seeding-Kits mit 24-karätigen Goldkügelchen zum Selbstkleben ein niederschwelliges Angebot für Interessierte anbieten. Mit ihrer Marke betreiben sie Aufklärungsarbeit, um das Bewusstsein für die Behandlungsmöglichkeiten zu fördern und richtige Anwendungen zu erklären. Neben den Kügelchen sind daher Ohrkarten mit diversen Punkten für unterschiedlichste Bedürfnisse in jedem Set enthalten.

Allrounder für alle?

Zielführende Behandlungen mit wenig Aufwand und so gut wie keinen Schmerzen? Das klingt doch verlockend – von wegen, wer schön sein will muss leiden! Oder? Nun, wie die drei Expertinnen sicherstellen, gibt es tatsächlich kaum Risiken: Laut Dr. Rodemund könnte es zu Kreislaufproblemen oder zu kurzzeitigen Verschlechterungen des Beschwerdebilds kommen. Kathrin Sperker fügt hinzu, dass man sogar bei Frühgeborenen eine Ohrakupunktur oder -pressur anwenden könne, da es keine Kontraindikationen gibt. In seltenen Fällen könnten Komplikationen wie kleine Blutungen an der Punktionsstelle, Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen oder eine Entzündung der Akupunkturstelle auftreten.

Ein weiterer Vorteil: Man kann bereits nach etwa 20 Minuten erste Verbesserungen der Beschwerden fühlen, bei starken Beschwerden bräuchte man mehrere Behandlungen für optimale Ergebnisse. Leidet man unter genannten Symptomen oder ist neugierig, können die Ohren durchaus der Schlüssel für Heilung sein. Doch wie sieht es denn mit der in den sozialen Medien versprochenen Schönheitsbehandlung für definierte Gesichtskonturen aus? Nun, auch hier sind sich die Expertinnen einig: Behandlungen am Ohr sind keine Trendschönheitsbehandlung, die schmale Gesichter über Nacht zaubert.

Was sie jedoch sehr wohl können, sind Verspannungen zu lösen und den Lymphfluss anzuregen. „In Studien hat sich gezeigt, dass der Cortisolspiegel vor allem nach großen Stresssituationen durch Ohrakupunktur signifikant gesenkt werden konnte. Niedrigere Cortisolspiegel können dazu beitragen, dass es zu einer Umverteilung von Fett in Fettzellen kommt, dass gespeichertes Wasser wieder vermehrt aus dem Körper ausgeschieden wird und dass es dadurch zu einer Reduktion der Gesichtsschwellung kommen kann“, erläutert Kathrin Sperker.

Jedoch sieht sie den Social-Media-Trend kritisch: Einen wie in den Videos dargestellten Effekt kann sie nicht bestätigen. Auch Dr. Rodemund bezweifelt Ear Seeding und Ohrakupunktur als Tool für Face Contouring. Wer starke Wassereinlagerungen im Gesicht hat und im Bereich der Kiefermuskeln sehr verspannt ist, könne aber tatsächlich eine sehr dezente Änderung wahrnehmen.

TCM als Trend

Wie so oft bei Social-Media-Hypes braucht es also Kontext: Ohrakupunktur und -pressur stehen vermehrt im Fokus, doch falsche Versprechen können irreführend sein. Daher ist eine Auseinandersetzung mit und vor allem Aufklärung zu dem Thema dringend notwendig – und trotzdem sehen die Expertinnen einen großen Vorteil durch die gewonnene Aufmerksamkeit: Menschen befassen sich mit Ohrakupunktur und damit, dass Störungen und Krankheiten behandelt werden können.

Generell passt der Hype zum Trend Selfcare, Stressreduzierung und Gesundheitsförderung, wie Sperker festhält. Joggerst geht sogar weiter und nennt den Aufschwung einen „Glow-up“ für die TCM. „Trend – ja. Aber mit fundierter Aufklärung, einfacher Anwendung und hochwertigen Tools“, so Joggerst. Kritisch betrachtet sie falsche Erwartungshaltungen, überzogene Beauty-Versprechen und mögliche Fehlplatzierungen beim Selbstkleben, die mit fehlender Aufklärung einhergehen. Sperker hebt vor allem die Wichtigkeit einer professionellen Begleitung in herausfordernden Zeiten hervor, da man damit diverse Krankheitsbilder behandle und es sich eben nicht um ein reines Beauty-Treatment handle. Ein Kugerl oder ein Nädelchen können eben mehr, als man vielleicht glauben möchte.

Dabei können Ohrakupunktur & Ohrakupressur helfen:

• Stress- und Unruhezustände
• Emotionale Dysbalance
• Psychische Spannungszustände
• Angstzustände
• Schlafschwierigkeiten
• Begleitung bei Entwöhnung
• Unterstützung beim Abnehmen
• Konzentrationsförderung
• ADHS
• Burnout
• Long Covid
• Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS)