Esther Graf: „Als Frau muss man sich doppelt und dreifach beweisen“
Die Sängerin über Herausforderungen in der Musikbranche
© Shanti Joan Tan
Sie ist einer der derzeit erfolgreichsten österreichischen Musikexporte. Sängerin und Songwriterin Esther Graf im Interview mit der WIENERIN.
Von den bescheidenen Anfängen auf heimischen Dorffesten bis hin zu den imposanten Bühnen der größten deutschen Festivals. Esther Graf hat in den letzten zwei Jahren einen bemerkenswerten Weg zurückgelegt. Schon in ihren Kindertagen hegte die heute 24-jährige Kärntnerin den festen Wunsch, Musikerin zu werden. Hinter dem engelsgleichen Gesicht steckt eine ambitionierte junge Frau, die sich kein Blatt vor den Mund nimmt. Und das sehr erfolgreich. Ihre Features mit namhaften deutschen Rappern wie Alligatoah, FiNCH & Co wurden auf Spotify millionenfach gestreamt und schafften es bis an die Spitze der deutschen Charts. Im Interview mit der WIENERIN teilt die sympathische Wahlberlinerin ihre Gedanken zum Aufstieg in einer Branche, in der das Licht oft auf Männer gerichtet ist, und verrät exklusive Details über ihre Musik.
voller erfolg: Esther Graf auf tour
Hinter dir liegen aufregende Monate: Du hattest deine erste eigene Solo-Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz und einen fulminanten Festivalsommer. Was ist dein Fazit?
Esther Graf: Meine erste eigene Tour und auf Festivals vor 40.000 Menschen zu spielen, war sehr krass. Ich wollte immer auf der Bühne stehen, das ist auch der Grund, warum ich Musik mache. Ich bin in erster Linie Sängerin, aber in mir schlägt auch ein Entertainer-Herz. Mein größter Ansporn ist, dass Leute sagen „Esther Graf ist ein guter Liveact.“ Zu wissen, dass die Leute nur wegen mir hier sind und meine Songs kennen, war ein unglaubliches Gefühl. Da bekomme ich jetzt noch Gänsehaut. Ich hatte das große Glück, dass meine Mama oft mit dabei war. Sie wusste genau, was das für mich bedeutet und was für einen hohen emotionalen Stellenwert diese erste eigene Tour für mich hatte. Ich bin sehr dankbar, dass ich diese unglaubliche Erfahrung mit ihr teilen konnte. Das Erlebte zu reflektieren und ein Bewusstsein dafür zu schaffen, ist so wichtig. Denn man weiß nie, wie lange das so bleibt.
Musik Als Therapie: Esther graf singt über trennung
Viele deiner Songs handeln von Liebeskummer. Verarbeitest du darin deine eigenen Erfahrungen und Emotionen?
Ja zu 100 Prozent! Das Songschreiben hilft mir, meine eigenen Emotionen zu verarbeiten. Ich habe nach meiner Trennung den Fokus voll und ganz auf meine Leidenschaft, die Musik, gelegt und dadurch auch einen enormen Karrieresprung gehabt. In meiner jetzigen Beziehung hat meine Leidenschaft zur Musik mehr Platz als vorher. Es gibt mich eben nur in Kombination mit Musik. Ich glaube jeder Mensch hat eine Leidenschaft, die ihn ausmacht und darauf sollte man seinen Fokus legen.
Das Leben ist ein Auf und Ab. Nach schweren Phasen kommen auch wieder gute Zeiten. Implizierst du das auch mit dem Titel deiner letzten EP „Nach den schlechten Tagen“?
Meine erste EP „Red Flags“ erzählt von einer Trennung und wie ich da rausgekommen bin. Bei meiner zweiten EP habe ich mich gefragt „Was sind Themen, die mich danach beschäftigt haben? Was kommt nach diesen schlechten Tagen?“ Einerseits natürlich, dass man sich neu verliebt, aber auch Struggles, die man vielleicht mit sich selbst hat. Es ist nicht so, dass nach den schlechten Tagen alles gut ist, sondern wie du sagst, das Leben ist ein Auf und Ab. Es sind auch danach Dinge passiert, die mir nicht gutgetan haben – gar nicht unbedingt auf die Liebe bezogen. Es gibt ja auch ganz andere Probleme und das war mir wichtig, mit dieser Platte widerzuspiegeln. Den Song „Renn zurück“ habe ich zum Beispiel für einen Menschen in meinem Umfeld geschrieben, der mit einer psychischen Erkrankung zu kämpfen hat. Darin geht es darum, was es als Angehörige bedeutet für die Person da zu sein und wie viel Geduld man dabei aufbringen muss.
Jeder Mensch hat eine Leidenschaft, die ihn ausmacht, und darauf sollte man seinen Fokus legen.
Esther Graf
Wie kam es zu deiner erfolgreichen Zusammenarbeit mit deutschen Künstlern wie Alligatoah, FiNCH und Montez?
Die Deutschrap-Szene hat mich total offen empfangen. Dadurch, dass ich offen für andere Genres bin, ist das quasi so passiert. Alligatoah hat mir zum Beispiel den Song einfach geschickt und mich gefragt, ob ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen kann. Der Text von „Mit dir schlafen“ handelt von freizügigen Gedanken und dem Warten auf Konsens – eine schwere Thematik, die mich zuerst unsicher machte. Zu diesem Zeitpunkt war ich noch ein sehr kleiner Artist und hatte Angst davor, mit politischen Themen rauszugehen, weil man sich dadurch schon angreifbar macht. Aber Konsens ist so ein wichtiges Thema und ich stehe zu 100 Prozent hinter der Message des Songs. Darauf folgten dann die ersten Chartplatzierungen und ich durfte mit ihm auf Tour gehen. Im Nachhinein war ich sehr stolz, es gemacht zu haben.
frauen in der musikbranche haben es schwerer
Das Musikbusiness ist immer noch sehr männerlastig. Haben es, deiner Meinung nach, Frauen schwerer, in der Branche Fuß zu fassen?
Ich glaube, dieses Ungleichgewicht gibt es leider in fast jeder Branche noch und auch in der Musikszene haben Frauen es schwerer, respektiert zu werden. Man muss sich oft doppelt und dreifach so hart beweisen. Vor allem hinter den Kulissen der Musikindustrie sehe ich ein hohes Verbesserungspotenzial, besonders für Frauen in Führungspositionen. In den letzten Jahren hat sich aber auch viel getan und es gibt immer mehr weibliche Acts. Künstlerinnen wie Juju oder Loredana haben enorm viel für die deutschsprachige Musikindustrie gemacht und eine regelrechte Welle ausgelöst. Es herrscht schon immer noch ein Ungleichgewicht, aber ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.
Du kommst ursprünglich aus Kärnten. Mittlerweile lebst du in Berlin. Was bedeutet Wien für dich?
Ich liebe den Wiener Flair und das Lebensgefühl hier! Ich habe ja eine Zeit lang in Wien gelebt, habe hier gearbeitet und in einem Abendgymnasium meine Matura gemacht. Ich komme immer noch total gerne nach Wien und muss echt aufpassen, nicht zu lange zu bleiben, weil ich immer merke, dass es mir eigentlich hier viel besser gefällt als in Berlin (lacht). Ich liebe diese Stadt so sehr. Meine engsten Freundinnen und auch zwei meiner Geschwister leben hier. Deswegen verbringe ich viel Zeit in Wien und genieße das auch sehr. Ich würde Wien schon als mein zweites oder drittes Zuhause bezeichnen.
So klingt die neue Musik von esther graf
Was kannst du uns über deine neueste Single „urlaub“ erzählen?
Ich bin mit der Pop/Punk-Musik von Simple Plan, Green Day & Co aufgewachsen und fühle diese Musik zu 100 Prozent. Deshalb versuche ich, das auch in meine Musik einfließen zu lassen und was Neues auf Deutsch daraus entstehen zu lassen. Als ich den Film „Ein verrückter Tag in New York“ noch mal gesehen habe, dachte ich mir „Oh mein Gott, ich brauche auch so ein Lied“ und bin mit dieser Emotion dann direkt ins Studio. So ist dann tatsächlich meine neue Single „urlaub“ entstanden. Ich glaube jeder hat in seinem Bekanntenkreis eine anstrengende Person, die man zwar einerseits sympathisch findet, aber die andererseits manchmal einfach nur hart nervt. Man möchte sie auf nette Art und Weise loswerden, zum Beispiel irgendwo ganz weit weg auf Urlaub schicken. „urlaub“ ist ein augenzwinkender Pop/Punk-Anthem, den man mit Humor nehmen sollte. Ich möchte, dass Leute den Song hören und schmunzeln müssen.
Was sind deine Pläne für die Zukunft?
Mein Fokus liegt derzeit auf der Produktion meines ersten Albums. Dafür habe ich gemeinsam mit meinem Team eine kleine Hütte auf der Turracher Höhe in Kärnten gemietet, wo wir uns eine Woche lang voll und ganz auf das Songwriting fokussiert haben. Nächstes Jahr performe ich dann hoffentlich auch auf den großen Festivals in Österreich. In Zukunft möchte ich die großen Bühnen in meiner Heimat erobern.