Liv Lisa Fries (liegt in einer Badewanne aus dem Film in Liebe eure Hilde) im Interview

Liv Lisa Fries: „Es zog mir den Boden unter den Füßen weg“

Von Liebe, Mut und Widerstand

8 Min.

© Frédéric Batier/ Pandora Film

Mit „In Liebe, eure Hilde“ kommt Liv Lisa Fries im Oktober zur Viennale, im Winter erlebt man sie im Kino an der Seite von Anthony Hopkins als Sigmund Freuds Tochter Anna. Der „Babylon Berlin“-Star im Interview.

Es zog mir den Boden unter den Füßen weg, weil ich wusste: Das ist keine Fiktion, das ist passiert.

Liv Lisa Fries über ihre Rolle Hilde Coppi

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Was wünschst du dir“, fragt er sie. „Zum Beispiel keine Angst mehr zu haben“, antwortet sie. „Wovor?“ – „Vor allem. Vor Spinnen, vor Käfern, den Nazis, meinem Zahnarzt, der Liebe“, flüstert sie am Lagerfeuer in den Nachthimmel. Ihre Welt ist da längst nicht mehr in Ordnung, aber die zwischen Hilde und Hans entflammende Liebe schon magisch genug, sodass sie auch Mut geben kann. Mut, um an der Seite ihres späteren Mannes Widerstand gegen die Nazis zu leisten. Im Hintergrund, aber wirkungsvoll.

„Ich finde das total wichtig, dass mal eine introvertierte Person die Hauptfigur ist, eine stille Heldin“, sagt Liv Lisa Fries. Ganz anders als ihre Charlotte Ritter in der Erfolgsserie „Babylon Berlin“ ist die Frauenfigur, in die sie bemerkenswert überzeugend für „In Liebe, eure Hilde“ schlüpfte.

Der Film von Andreas Dresen (Regie) und Laila Stieler (Drehbuch) ist insgesamt leiser. Er zeigt keine lauten, wutentbrannten Nazis, das Grauen und die Gänsehaut kommen trotzdem. Der, der Hilde das Leberwurstbrot reicht, ist trotzdem derjenige, der sie „systemkonform“ verhört. Im Gefängnis und vor Gericht begegnet Hilde nicht ausschließlich Unmenschen, sie alle sind dennoch Teil eines Systems, das Unmenschliches vollbringt.

„Es braucht zur Systemerhaltung nicht nur die Lauten, sondern auch die eher stillen, scheinbar freundlichen Mitläufer. Es gibt im Film keine brüllenden Nazihorden, eigentlich sind alle ,ganz nett‘, und trotzdem werden Todesurteile gesprochen, am Ende sterben Hilde und viele andere aus ihren Kreisen. Das Kinopublikum wird sich hoffentlich fragen: ‚Auf welcher Seite hätte ich damals eigentlich gestanden?‘“, beschreibt Filmemacher Andreas Dresen.

Der Film, der auf der wahren Geschichte von Hilde und Hans Coppi beruht, wird in Österreich bei der Viennale (17. bis 29. Oktober) präsentiert – in Anwesenheit von Liv Lisa Fries. Wir begegneten der vielfach preisgekrönten deutschen Schauspielerin vorab zum Interview. Ihre erste Hauptrolle spielte sie schon mit 16 in „Schimanski – Tod in der Siedlung“, zuletzt war sie unter anderem in Stefan Ruzowitzkys „Hinterland“ oder David Schalkos und Daniel Kehlmanns „Kafka“ zu sehen.

Sie spielen eine reale Figur im Widerstand. Wie ging es Ihnen damit? Wie konnten Sie zu Hilde Coppi werden?

Liv Lisa Fries: Indem ich sehr viel mehr in meine innerlichen Fahrwasser investiert habe. Ich selbst reflektiere eher übers Veräußern und finde es zum Beispiel bei der Figur von Charlotte Ritter („Babylon Berlin“, Anm.) befreiend, das zu sagen, was ich denke. Für Hilde musste ich daran arbeiten, innerliche Vorgänge zu transportieren. Sie sagt in einer Szene zu Hans: „Traust du mir keinen eigenen Willen zu?“ – Das ist ein interessanter Punkt, gerade weil bei ihr so viel innerlich abläuft.

Es findet heute viel Extrovertiertes im Rampenlicht statt, so als ob man nicht schüchtern sein dürfte. Ich mag sehr gerne die Musik von Agnes Obel und war sehr überrascht, als ich sie im Berliner Admiralspalast als eine sehr introvertierte Künstlerin auf der Bühne erlebt habe. Das hat mich nachdenklich gemacht. Es ist wichtig, dass gerade in unserer lauten Welt eine bestimmte Feinheit und Ruhe auch Platz und Aufmerksamkeit haben. Hilde hat mich inspiriert, dass es auch in Ordnung ist, mal ruhig zu sein. Sie hat trotzdem ihre Meinung, ihre Werte und ein Rückgrat.

Wie viel konnten und wollten Sie von Hilde mitnehmen?

Die Arbeit war inspirierend, aber ich habe gemerkt, dass ich für mich selbst klar die Veräußerung brauche. Ich bin nicht umsonst Künstlerin, die Dinge müssen schon in irgendeiner Form raus aus mir und so verarbeitet werden. Von der Geschichte selbst musste ich mich emotional distanzieren. Es war unheimlich schwer beispielsweise die Szene zu spielen, in der ich das abgelehnte Gnadengesuch in der Hand halte, das persönlich von Hitler unterschrieben ist und wo draufsteht, dass ich hingerichtet werde.

Dieser Moment hat mir immer wieder den Boden unter den Füßen weggezogen, weil ich wusste: Das ist keine Fiktion, das ist passiert. Ebenso, dass Hilde ihr Baby im Gefängnis kriegen musste. All das geht sehr unter die Haut.

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Sie waren die erste Wahl für den Regisseur, es gab dennoch ein Casting. Wie gingen Sie damit um?

Meine Neugier und mein Ehrgeiz waren geweckt, aber ich musste auch mir die Frage stellen: Kann ich in diese Rolle schlüpfen? Früher hätte ich mich gefragt: Traut er mir das vielleicht nicht zu? Ich habe in all den Jahren meiner Arbeit aber auch viel Anerkennung erfahren, das greift heute meinen Selbstwert nicht mehr so sehr an. Heute bin ich letztendlich froh, ausprobieren zu können, ob man angenehm und inspirierend zusammenarbeiten kann.

Dazu kam, dass ich zu dem Zeitpunkt meinen Fokus etwas verschoben und ein zeitgenössisches Tanzstudium begonnen hatte, das ich abbrechen musste, weil ich mir den Fuß gebrochen hatte. Als die Frage von Andreas Dresen kam, war ich zunächst relativ gelassen – aber schließlich doch erpicht darauf zu sehen, wie es ist, mit jemandem zu arbeiten, der mein Film- und Spielverständnis stark geprägt hat.

Eine schöne Form der Selbstermächtigung zu sagen: Ich muss selbst schauen, wie wir zusammen funktionieren … Diesen Aspekt hatte ich früher nie. Ich dachte lange, ich werde geprüft, die gucken mich an, bis mir klar wurde: Ich gucke ja auch zurück. Wie ist es für mich?

Das Publikum wird sich hoffentlich fragen: ‚Auf welcher Seite hätte ich eigentlich gestanden?‘

Andreas Dresen, Regisseur

Wer inspiriert Sie aus Ihrem persönlichen Umfeld?

Meine Oma. Sie lebt heute nicht mehr, aber´bis heute denke ich: Was hätte meine Oma gemacht? Was hatte ich für ein Gefühl, wenn meine Oma bei mir war?

Zu den inspirierenden Menschen gehört auch meine engste Freundin Jennifer Rudloff, sie ist Kostümbildnerin und eine sehr viel Energie gebende Person. In den blödesten Momenten gibt sie mir Hoffnung und Kraft, dafür bin ich sehr dankbar.

Im Film können „die Schlechten“ auch nett sein. Das macht die Unterscheidung komplexer. Was ist für Sie ein guter Mensch?

Das ist ja eine ganz kleine Frage! (Lacht und überlegt) – Authentizität halte ich für wichtig und Offenheit gegenüber „dem Fremden“, um nicht in Ressentiments zu verfallen. Ungerechtigkeit kann man auf viele Arten erfahren, ob wir nun von Armut, Genderfragen oder Fremdenfeindlichkeit sprechen.

Unsere Probleme werden heute immer klarer, aber ihre Benennung reicht nicht, wir müssen uns besser darin schulen, damit umzugehen und um entsprechende Ressourcen zu bilden.

Sie drehen im Herbst die fünfte und letzte Staffel von „Babylon Berlin“ – sind Sie wehmütig?

Ja, auch. Aber ich bin auch froh und dankbar, dass wir versuchen, das zu Ende zu bringen und nicht offen zu lassen. Ich lese gerade die Drehbücher und finde sie großartig; ich bin total gespannt.

Am 19. Dezember kommt „Freud – Jenseits des Glaubens“ ins Kino. Sie spielen an der Seite von Anthony Hopkins seine Tochter Anna Freud. Worum geht es?

Der Film basiert auf einem Theaterstück; ich finde Anthony Hopkins’ Ansatz ganz schön, dass es ein bisschen wie ein Traum ist. Sigmund Freud und C. S. Lewis haben sich in Wirklichkeit nie unterhalten, trotzdem sind viele Aspekte hineingearbeitet, die real sind.

Was Sigmund Freud aufgebaut und seine Tochter Anna weitergeführt hat, ist eine enorme geistige Arbeit, die bis heute genutzt wird. Gleichzeitig finde ich die Diskrepanz so spannend, dass auch sie ihre blinden Flecken hatten und wie viel sie von ihrem Wissen trotzdem nicht persönlich für sich anwenden konnten.

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Es ist beachtlich, wie viele unterschiedliche Frauenfiguren Sie bereits gespielt haben. Wie viel Kraft kostet das und wo schöpfen Sie Energie?

Es kostet viel Kraft, aber sie geben mir auch viel Kraft. Eine weitere Antwort ist: aus Freundschaften, aus Austausch und Verbindung und wenn ich merke, dass auch andere Menschen ähnliche Probleme haben. Und ich schöpfe Kraft aus Meditation, Reisen, in der Hängematte liegen, achtsam im Moment sein – und manchmal gehe ich tanzen. Ich versuche immer herauszufinden, was ich gerade brauche. Nach einem schweren Drehtag kann das die Badewanne sein oder umgekehrt Joggen im Park.

Manchmal will ich etwas noch richtig durchdiskutieren, manchmal brauche ich eine Umarmung. Ich habe früh angefangen zu arbeiten und in den letzten 15 Jahren schon einiges gestemmt; ich komme immer mehr darauf, dass mir feine, ruhige Dinge wie ein kleines Badminton-Spiel sehr gut tun – oder eben einfach eine Umarmung.

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