Arbeiten als Hebamme

Reality-Check: So hart ist der Arbeitsalltag einer Hebamme

Einblick in den Kreißsaal

6 Min.

© Pexels/Polina Tankilevitch

Geplatzte Fruchtblasen, Babys in Beckenendlage und zu früh einsetzende Wehen. Kein Ausnahmezustand, sondern tägliche Realität in der Geburtshilfe. Arbeiten als Hebamme: Über Glücksmomente und Missstände im Kreißsaal.

Kinderkriegen ist alles andere als ein Kinderspiel. Wie einzigartig komplex Schwangerschaft und Geburt jedoch wirklich sein können, wissen meist nur Eltern selbst und diejenigen, die sie auf diesem Weg begleitet haben. Seit fast zehn Jahren unterstützt Victoria Seisenbacher werdende Mütter und ihre Partner:innen bei der Geburt. 800 bis 900 Babys hat die 31-jährige Hebamme aus Wien bereits entbunden.

Zuletzt half sie der Wiener Schauspielerin Mariam Hage bei den Vorbereitungen zu den Dreharbeiten der neuen ZDFneo Serie „Push“. Die Medicalserie gewährt einen authentischen Einblick in den herausfordernden Hebammenberuf. Ihre Erfahrungen, von denen sie im Interview erzählt, zeichnen ein ehrliches Bild des Geburtsalltags, das oft im Schatten der Öffentlichkeit liegt.

Zwischen Klischee und Wirklichkeit

Irrglaube. „Viele denken, dass man als Hebamme den ganzen Tag mit Babys kuschelt, aber in Wirklichkeit habe ich kaum etwas mit den Babys selbst zu tun. Ich arbeite mit Frauen oder mit Paaren, um sie zu bestärken“, erzählt Victoria Seisenbacher.

Wie intensiv ein Tag- oder Nachtdienst auf der Geburtsstation wirklich ist, schildert die erfahrene Hebamme so: „Ein Dienst dauert zwölfeinhalb Stunden. In dieser Zeit teilen wir die Gebärenden unter den anwesenden Kolleg:innen auf. Man betreut auch oft mehrere Geburten gleichzeitig. Es kommt gar nicht mal so selten vor, dass alle Kreißsäle belegt sind. Das ist dann schon ein großer innerlicher Druck.“

Hebamme Victoria Seisenbacher im Interview
© Privat

Eine Geburt kann so empowernd sein und einen als Frau bestärken.

Victoria Seisenbacher, Hebamme

Der Hebammenberuf im Wandel

Strukturelle Probleme. Die Herausforderungen im Gesundheitswesen sind allgegenwärtig, und auch die Geburtshilfe bleibe nicht verschont. Der akute Personalmangel mache sich bemerkbar. „In der Pflege ist der Personalmangel noch ein großes Stück schlimmer, aber bei uns spitzt sich die Lage auch langsam zu.

Die bevorstehende Pensionswelle der geburtenstarken Baby-Boomer-Generation betrifft natürlich auch uns und stellt uns vor großen Herausforderungen“, beklagt Seisenbacher. Das betreffe vor allem die Zukunft der Hebammenausbildung. „Es gibt zwar genügend Student:innen, die leidenschaftlich gerne Hebammen werden möchten. Als Praxisanleiterin sehe ich aber auf der anderen Seite, dass es zu wenig Ausbildungsplätze und Betreuer:innen gibt, die diese ausbilden.“

Arbeiten als hebamme: Intuition und Mitgefühl

Zwischenmenschlichkeit. „Hebammenarbeit ist zum einen Wissen und Erfahrung, aber zum anderen auch ganz viel Intuition und Mitgefühl“, betont die gebürtige Wienerin. In Extremsituationen müsse man sich auf die jeweiligen Menschen und ihre Bedürfnisse einlassen und für sie da sein. „Man muss die Stimmung im Raum fühlen und sie manchmal auch leiten. Dabei meine ich nicht nur die Stimmung der Gebärenden, sondern auch die der Väter. Männer reagieren bei der Geburt oft ganz unterschiedlich. Die meisten haben Angst und werden nervös. Manche machen Witze, manche werden aggressiv. Als Hebamme muss ich wissen, wie ich damit umgehe.“

Arbeiten als Hebamme: Herausforderungen
© Shutterstock

Gewalt im Kreißsaal: darum ist aufklärung so wichtig

In der Kritik. Gewalt im Kreißsaal ist in der Öffentlichkeit ein zunehmend diskutiertes Thema. Aktuelle Erkenntnisse aus dem Jahr 2020, die die psychologische Hochschule in Berlin veröffentlicht hat, zeigen, dass etwa 50 Prozent aller Frauen während der Geburt physische oder psychische Gewalt erleben.

Erschreckende Zahlen, die sich Victoria Seisenbacher wie folgt erklärt: „Eine Geburt ist ein sehr persönliches Empfinden. Gewalt findet vor allem dann statt, wenn man als Frau nicht gut aufgeklärt wurde. Wenn man das Gefühl hat, man wird überrollt und man ist nicht mehr selbstbestimmt.“ Sie betont dabei die Wichtigkeit, die Frauen in alle Entscheidungen einzubeziehen und transparent zu kommunizieren.

Auch die Bedeutung von Aufklärung über das Geburtsgeschehen in der Gesellschaft ist für Seisenbacher unbestreitbar. „In Filmen und Serien wird meist nur gezeigt, wie die Fruchtblase platzt und dann ein paar Minuten später das Baby da ist. Aber viele wissen gar nicht, wie eine Geburt tatsächlich abläuft“, bemerkt sie. Dieses Unwissen könne zu Unsicherheit und Ängsten führen.

„Viele Frauen haben Angst vor der spontanen Geburt und wünschen sich einen Kaiserschnitt. Da muss man hinterfragen, woher diese Angst kommt. Ist es der Kontrollverlust des eigenen Körpers? Eine Geburt kann so empowernd sein und einen als Frau bestärken. Mehr Aufklärung würde vieles für die Hebammen aber auch für die werdenden Eltern erleichtern und ihnen die Angst vor der Geburt nehmen“, ist sich die 31-Jährige sicher.

fehlende wertschätzung der geburtshilfe

Mehr Realität. Die Serie „Push“, die den herausfordernden Alltag von Hebammen realitätsnah zeigt, begrüßt Seisenbacher als wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung. „Es ist wichtig, dass es Filme und Serien gibt, die den oft herausfordernden Alltag von Hebammen realitätsnah zeigen und ein Bewusstsein dafür schaffen.“ Der Beruf der Hebamme sei vielschichtig und anspruchsvoll. Ein authentischer Blick hinter die Kulissen könne helfen, die Herausforderungen und Verantwortlichkeiten, die mit dem Beruf einhergehen, besser zu verstehen.

Dass beim Pflegebonus auf uns vergessen wurde, zeigt, wo wir in der Gesellschaft stehen.

Victoria Seisenbacher, Hebamme

„Ich würde mir generell wünschen, dass der Beruf von der Gesellschaft mehr Wertschätzung bekommen würde. Leider wird vieles als selbstverständlich angesehen. Da wir eine relativ kleine Berufsgruppe sind, gehen wir oft unter.“ In der Pandemie sei der Pflegebonus beispielsweise an den Hebammen vorbeigegangen. „Wir wurden einfach vergessen. Das zeigt ein bisschen, wo wir in der Gesellschaft stehen.“

Nichtsdestotrotz könne sich die Geburtshelferin keinen schöneren Beruf vorstellen. „Der Moment, in dem frischgebackenen Eltern ihr neugeborenes Baby das erste Mal in den Armen halten und mir die ehrlichste Form der Dankbarkeit entgegenbringen, überstrahlt alle Hürden“.

Hebammen-serie „push“ startet im märz auf zdfneo

In der neuen Dramaserie „Push“ werden nicht nur die Freuden, sondern auch die Schattenseiten der Geburtshilfe beleuchtet. Sechs Folgen gewähren einen intensiven Einblick in den Klinikalltag der Hebammen Nalan (Mariam Hage), Anna (Anna Schudt) und Greta (Lydia Lehmann). Dabei werden Tabuthemen wie Wochenbett, Kinderwunsch, unbezahlte Hausarbeit, Abtreibungen, Frühgeburten sowie Fehlgeburten authentisch dargestellt.

Arbeiten als Hebamme: Neue Serie zeigt ein realistisches Bild
© ZDF/Richard Kranzin

Die Wiener Schauspielerin Mariam Hage übernimmt die Rolle der Hebammen Nalan Arzouni, deren Traumberuf aufgrund ihres unerfüllten Kinderwunsches zur emotionalen Achterbahnfahrt wird. „Es wurmt mich sehr, dass systemrelevante Berufe, wie der der Hebamme viel zu wenig Anerkennung in unserer Gesellschaft bekommen. Ich hoffe sehr, dass sich das ändern wird und dass wir mit unserer Serie diese Held:innen ein wenig in den Mittelpunkt rücken können“, erklärt die Wienerin. „Push“ ist ab dem 1. März in der ZDFmediathek verfügbar und wird ab dem 10. März um 20:15 Uhr auf ZDFneo ausgestrahlt.

Push" zeigt ein realistisches Bild
© ZDF/Richard Kranzin

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