
© Christopher Glanzl
Die Kabarettszene treibt bunte und neue Blüten – was den fruchtbaren Boden ausmacht und warum das Internet Humus und Pestizid gleichsam sein kann. Eine aufschlussreiche Bodenanalyse mit Malarina und Berni Wagner.
Die Gute ist pleite. Ob sie auf Empathie stoßen wird, ist fraglich. Sie hat ihre Kinder verlassen, die Kinder ihres aktuellen Lovers kennt sie nicht beim Namen. Da ist die Gesellschaft unerbittlich, weiß Marina Lacković, bekannt als Kabarettistin Malarina, die aus ihrem neuen Programm „Trophäenraub“ teasert (ab 7. März): „Warum ist die nicht nett? – Eine Frau muss nett sein. Von Männern wird immer das Mindeste erwartet, von Frauen das Maximum. Wenn eine Frau zum Beispiel Kinder nicht mag, reagieren die Leute krass.“
Die Comedyszene floriert, und die meisten Künstler:innen haben die Samthandschuhe abgelegt; es werden Missstände aufgezeigt, die Dinge ohne viel Umschweife beim Namen genannt. Das sei neu, ist Berni Wagner überzeugt. „Früher war es quasi ein Teil der Kunst, den Leuten was unterzujubeln: Man machte Witze, die die Leute hören wollten, um das sagen zu können, was man eigentlich unterbringen wollte.“
In einer ziemlich heißen Phase, nämlich kurz vor den Premieren ihrer neuen Soloprogramme, nahmen sich Malarina und Berni Wagner netterweise Zeit für das Interview. Als sie einander vor gut fünf Jahren bei einem Niedermair-Fest kennenlernten, war es Freundschaft auf den ersten Blick. Sie machten gemeinsam den Podcast Factfighters, teilten sich schon einige Male Bühnen – und diesmal eben einen Tisch im Café Eiles.
Malarina, was magst du noch über dein neues Programm verraten?
Malarina: Meine Kunstfigur ist eine bürgerliche Pseudofeministin. Sie nützt das Patriarchat lieber für sich, anstatt es zerschlagen zu wollen. Es geht auch um Politik, aber viel mehr um Opportunismus und Geld. Sie erfährt, dass man in Österreich keine Erbschaftssteuer zahlt und will erben. – Berni, wieso heißt dein Programm „Monster“?
Berni Wagner: Bei mir geht es um die Verknüpfung von Männlichkeit und Autoritarismus und was das mit mir zu tun hat als jemand, der männlich sozialisiert worden ist. Auch und gerade bei Männern, die sich als vorbildliche Feministen inszenieren, zeigt sich dann doch oft problematisches Verhalten. Und ich hab mich sicher auch nicht immer richtig verhalten.
Hast du ein Beispiel dafür?
Berni: Ich war in der Schule relativ klein und hatte dadurch im Kopf, dass man sich von mir nicht bedroht fühlen kann. Ich bedauere heute, dass ich lange gebraucht habe, bis ich gemerkt habe: Aja, ich bin erwachsen, 188 Zentimeter groß und relativ breit; die Leute haben verdient, dass ich signalisiere, dass von mir keine Gefahr ausgeht. Wenn ich heute in der Nacht hinter einer Frau gehe, wechsle ich die Straßenseite. Man muss sich vergegenwärtigen, was andere Leute verletzen oder in unangenehme Situationen bringen kann.
Malarina: Das tut meine Kunstfigur nicht, sie verhält sich gegenüber ihrem Techniker übergriffig, nimmt das aber nicht als problematisch wahr. Sie hat die Haltung: Ich bin so heiß, wie könnte ich dich belästigen?! – Man kennt solche Frauen auch aus der #MeToo-Debatte, die haben sich laut zu Wort gemeldet.

Die Kabarettszene wurde super bunt – wie kommt das, was hat sich verändert?
Berni: 2013 war mein erstes Solo, damals spielten junge Leute quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es hat sich wahnsinnig viel getan. Der große Impuls waren PCCC (The Politically Correct Comedy Club, Vienna’s First Queer Comedy Club, Anm.) und das Internet, speziell viel englischsprachige Comedy auf YouTube, die von Haus aus diverser war. Bei uns gab es lang die Perspektive vom weißen Mann mittleren Alters. Ich habe mal im Kabarettarchiv Graz nachgefragt: Erfolgreiche Frauen gab es in jeder Generation, aber sie sind an eine gläserne Decke gestoßen und oft in Vergessenheit geraten.
Malarina: Manche nicht. Die Dornrosen oder die Kernölamazonen haben 5.000er-Hallen gefüllt. Ein Problem ist, dass es bei uns zu lang dauert, bis ein Newcomer dem Fernsehpublikum vorgestellt wird.
Berni: Das Internet hat die linearen Medien ausgehebelt und führt direkt zu den Leuten, die es interessiert. Damit können auch Inhalte diverser sein. PCCC waren die Ersten in Wien, die sich bemüht haben, Diversität an ein breiteres Publikum zu bringen. Ich war begeistert, als ich das erste Mal erlebt habe, auf welchem Level man da bei politischen und Genderthemen eingestiegen ist. Die Frage ist, wie nachhaltig das alles ist, ob
90 Prozent von uns in zwei Jahren vergessen sein werden. Um Marina mach ich mir keine Sorgen, die wird man in 30 Jahren auch noch hören.
Malarina: Dich auch! Wir haben auch nicht als Influencer:innen angefangen. Ich hatte lange unter 1.000 Follower:innen. Ich weiß gar nicht, ob mir heute noch ein Durchbruch mit „Serben sterben langsam“ (ihr preisgekröntes Debüt, Anm.) gelingen könnte. Ich tue mir bis heute hart auf Social Media. Ich bin viel zurückgezogener, als man denkt. Ich mag mich nicht in meiner Wohnung filmen.
Braucht es das?
Berni: Es würde wahrscheinlich helfen.
Malarina: Ich habe entschieden, das nicht zu machen, außer mir fällt was ein, das echt einen Mehrwert hat. Ich kann gut schreiben und gehe damit gerne auf die Bühne, das ist mein Beruf. Von mir aus schnipsle ich was aus Aufzeichnungen raus und stelle es auf Social Media. Berni, du hast ein paar echte TikToks, an so etwas würde ich eine Woche sitzen.
Berni: Ich habe ein paar Tricks gefunden, aber es ist nicht unbedingt das, wo ich hinwill. Ohne Internetpräsenz ist es aber quasi unmöglich. Die Veranstaltenden sind wirtschaftlich gebunden und haben dann die Wahl zwischen einem, der ihnen den Saal vollmacht oder eben nicht. Das Internet ist Fluch und Segen.
Was hat sich inhaltlich verändert?
Berni: Fast alle jungen Leute machen explizit politische Sachen und halten dabei null hinterm Berg mit ihrer Meinung. Es gibt aber auch einige Kolleg:innen, die explizit unpolitisch sind.
Malarina: Mit Politsatire wirst du halt nie so breit.
Berni: Es gibt aber Wege, die Nische zu erreichen. Das hat Steffi Sargnagel als Erste gemacht, die wird das Globe demnächst voll haben. Die Nische ist größer, als man gedacht hat.
Malarina: Dafür ist das Internet wieder gut, es hat das Publikum dahingehend demokratisiert, dass es nicht mehr nur konsumiert, was angeboten wird, es selektiert.
Berni: Umgekehrt ist Comedy auch für einige, die mit welchen Inhalten auch immer Millionen Follower:innen haben, ein guter Weg geworden abzucashen.
Malarina: Was man im digitalen Zeitalter nicht vergessen darf: Die Masse kann irren. Andrew Tate (gewaltverherrlichender, misogyner Social-Media-Star, Anm.) hat Millionen Follower:innen – wollen wir ihn spielen lassen? Ich hoffe nicht!

Was kann Kabarett heute?
Berni: Es kann Leute zusammenbringen und in einen differenzierten Diskurs führen; wenn es gelingt, dass man den großen aktuellen Dingen wie Spaltung, Algorithmus, Bubbles und Wut entgegenwirken kann, hat man viel erreicht. Satire können Sachen sein, die den Mächtigen unangenehm sind, nach dem PCCC-Prinzip „punch up, don’t kick down“. Im Kabarett kann man auch mit Sachen konfrontiert werden, denen man nicht zu 100 Prozent zustimmt, trotzdem kann man dabei eine gewisse Offenheit entwickeln. Man kann also Ideen streuen, aber auch den Leuten, die eine ähnliche Meinung haben, Argumente liefern und ihnen das Gefühl geben, dass sie mit ihrer Haltung nicht allein sind.
Malarina: Im Idealfall verbindet man in seinem Saal Menschen, die sich außerhalb nicht unbedingt begegnen würden. „Punch up, dont’t kick down“ – das gilt absolut immer. Ich trete aber auch zur Seite – mit Balkan-, queeren und Frauen-Jokes. Ich finde alle, über die ich spreche, müssen Personen sein, deren Lebensrealität ich kenne.
Wie ist das Publikum in Wien?
Malarina: Ich mag es sehr, es ist sehr offen. Man kann viel machen, viele unterschiedliche Künstler:innen funktionieren auch. Es ist kein Einheitsbrei mehr. Als ich vor fünf Jahren angefangen habe, gab es in keinem Backstagebereich Tampons.
Gibt’s auch mal krasse Reaktionen?
Berni: Empörung kommt eher online. Einmal habe ich den simplen Witz gemacht: Wenn ich Muskeln aus dem Fitnessstudio bräuchte, hätte ich sie schon. – Das wurde in der Fitnessbubble ausgespielt, und es haben mir Hunderte wütende Männer geschrieben, was sie mir und meiner Familie alles Schlimme wünschen.
Malarina: Ich hab Novak Djokovic verarscht, weil er sich nicht gegen Corona impfen ließ, da wünschten mir Leute, dass ich an meiner Impfung sterbe.
Berni: Man sollte aber nicht glauben, dass das ein Querschnitt der Bevölkerung ist, der so etwas schreibt. Nur ein Bruchteil kommentiert überhaupt (siehe auch das Interview mit Digitalexpertin Ingrid Brodnig, ab S. 54, Anm.).
Malarina: Trotzdem bin ich mehr pro Internet als darüber verärgert.
Weil es viele Möglichkeiten bietet?
Malarina: Die Leute kamen noch nie so leicht an so viel Wissen ran, und sie können sich mit Gleichgesinnten vernetzen. Was hast du früher gemacht, wenn du am Land queer warst? – Du konntest nur hoffen, dass sich eine zweite Person outet, sonst warst du allein. Das Problem ist, dass nicht wir in Europa die Plattformen hosten – wollen wir wirklich, dass Elon Musk die Regeln macht?
Termine: berniwagner.at, malarina.com