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Den Sommer feiern, das Leben genießen! Menschen mit einer Sommerdepression können das nicht. Sie fühlen sich auch bei schönstem Wetter niedergeschlagen und einsam.
Sommer, Sonne, gute Laune überall! Kaum jemand würde diese Jahreszeit mit Einsamkeit und depressiver Stimmung in Verbindung bringen. Dabei sind vier bis sechs Prozent der Bevölkerung von einer sogenannten Sommerdepression betroffen. Sie fühlen sich niedergeschlagen, traurig und mitunter sehr einsam – Sonnenschein hin oder her! Wir haben mit der Linzer Psychologin Christa Schirl gesprochen, warum sich Einsamkeit im Sommer besonders schlimm anfühlen kann und welche negativen Auswirkungen es auf die Gesundheit hat.
Sommer verbinden wir mit Spaß und Lebensfreude. Dadurch fällt Einsamkeit ganz anders auf.“
Mag. Christa Schirl
Einsamkeit und depressive Verstimmungen verbinden die meisten Menschen mit den kalten, dunklen Wintermonaten, aber kaum jemand mit dem Sommer. Warum stimmt das so aber gar nicht?
Wir alle kennen die Winterdepression, die Sommerdepression hingegen ist nahezu unbekannt. Tatsächlich gibt es „saisonal abhängige Depressionen“ – kurz SAD, was im Englischen übrigens „traurig“ bedeutet. Die Sommerdepression betrifft vier bis sechs Prozent der Bevölkerung und die Ursachen dafür sind noch nicht wirklich bekannt. Manche meinen, dass es mit der veränderten Melatonin-Ausschüttung und dem damit einhergehenden anderen Schlaf-Wach-Rhythmus zu tun hat. Das kann dazu führen, dass sich auch die Stimmung verändert. Was ich allerdings viel mehr glaube: Wir haben eine ganz spezielle Vorstellung davon, wie Sommer zu sein hat. Herbst und Winter verbinden wir mit Rückzug den Sommer mit Spaß und Lebensfreude. Dadurch fällt Einsamkeit ganz anders auf. Während sich die meisten Menschen auf ihren Urlaub freuen, würden manche viel lieber arbeiten, weil die Arbeit ihren Tag strukturiert.
Kann sich Einsamkeit im Sommer besonders schlimm anfühlen? Besonders wenn man die Lebensfreude der anderen sieht …
Einsamkeit fällt noch viel mehr auf, wenn zum Beispiel alle Freunde im Urlaub sind und man selbst nicht weiß, mit wem man auf Urlaub fahren könnte oder mit wem man seine Wochenenden verbringt. Dazu kommt, dass viele Angebote und Aktivitäten im Sommer pausieren – der Tanzkurs fällt ebenso weg wie die Yogastunde und der wöchentliche Seniorentreff. Das führt dazu, dass es schwierig wird, Sinn zu finden.
In manchen Ländern ist es bereits ein politisches Thema, weil Einsamkeit auch schlimme gesundheitliche Nebenwirkungen haben kann.“
Mag. Christa Schirl
Beim Thema Einsamkeit denkt man in erster Linie an Singles, allerdings kann man sich auch in einer Partnerschaft oder trotz Freundeskreis einsam fühlen. Woran liegt das?
Mit einem Freundeskreis ist man grundsätzlich emotional gut eingebettet – außer, die Freunde sind nie für einen da. Natürlich kann man sich auch in einer Ehe einsam fühlen, etwa wenn der Partner mit seinem Job verheiratet ist und am Ende des Tages keine Energie mehr für die Beziehung hat. Freundschaft ist ebenso wie eine Partnerschaft von gegenseitigem Geben und Nehmen geprägt, das muss sich immer die Balance halten – sonst fühlt man sich trotz Partner und Freunden einsam.
Würden Sie sagen, dass Einsamkeit in den vergangenen Jahren zugenommen hat?
Ja, es gibt viele Studien, die das bestätigen. Auch Covid hat viel dazu beigetragen. Früher hat man seine Nachbarn oder die Menschen in seinem Grätzl gekannt. Diese Flexibilität, die wir mittlerweile haben, einfach gewordene Wohnortswechsel, der ständige Stress – das alles macht es viel schwieriger, Bindungen zu halten. Wir haben viel mehr Beziehungen in sozialen Medien als im echten Leben. Es gibt nicht umsonst Länder, in denen Einsamkeit bereits ein politisches Thema geworden ist. In England etwa gibt es ein Ministerium für Einsamkeit, weil Einsamkeit auch schlimme gesundheitliche Nebenwirkungen haben kann.
Welche Nebenwirkungen können das sein?
Wenn ich einsam bin, kann es sein, dass ich mich weniger pflege. Dass ich zum Beispiel schlechter esse, weniger Tagesrhythmus habe, mehr rauche oder Alkohol trinke und mich weniger bewege. Menschen sind seit jeher Rudeltiere. Wir brauchen andere. „Der Mensch wird zum Ich am Du“ hat der Philosoph Martin Buber gesagt. Wir brauchen jemanden, der uns spiegelt. Das ist sehr wichtig! Wenn man im Krankenhaus liegt und der Partner oder die beste Freundin kommt und hält unsere Hand, lässt die Schmerzintensität nach. Wir wissen heute, dass uns Berührungen und körperliche Nähe beruhigen und unseren Stresspegel reduzieren. Wenn man sich hingegen alleine und isoliert fühlt, hat man einen erhöhten Cortisol-Spiegel. Sind die Stresshormone dauerhaft erhöht, hat das zur Folge, dass Entzündungen nicht so effektiv bekämpft werden. Das Cortisol führt auch zu einem höheren Blutdruck und fährt das Immunsystem herunter, so dass das Risiko für Infekte steigt. Das bestätigt, dass sich Einsamkeit auch massiv auf die körperliche Gesundheit auswirkt.
Gibt es Menschen, die besonders von Einsamkeit betroffen sind?
Einsamkeit kommt oft nach einschneidenden Lebensereignissen oder Umbrüchen – etwa, wenn man nach der Matura für das Studium in eine andere Stadt zieht. Plötzlich ist man einsam, weil die Freunde wegfallen und man niemanden kennt. Auch die Pensionierung, eine Erkrankung oder die Geburt eines Kindes können mit Einsamkeit einhergehen. Ein Jobwechsel kann dazu führen, dass man sich einsam fühlt. Wenn der Partner stirbt, können auch Senioren sehr einsam sein. Dabei sind soziale Kontakte für ältere Menschen besonders wichtig, weil das Gehirn dadurch lebendiger bleibt. Das bedeutet umgekehrt, dass Einsamkeit Demenz fördert.
Einsamkeit ist oft mit Scham besetzt. Einsame Menschen geben sich häufig selbst die Schuld daran.“
Mag. Christa Schirl
Es ist ein Unterschied, ob man einsam oder allein ist. Wie lässt sich dieser Unterschied definieren?
Wenn ich alleine bin, ist das etwas, das ich selbst wähle. Sich zurückzuziehen und nur mit sich zu sein, ist etwas ganz Wunderbares. Pilgern ist ein gutes Beispiel. Alleinsein ist ein selbstgewählter, gesunder Zustand, weil man weiß, dass man mit anderen Menschen dennoch verbunden ist. Einsamkeit hingegen ist oft mit Scham besetzt. Zumal sich einsame Menschen häufig selbst die Schuld daran geben, dass sie nirgendwo zugehörig sind. Sie fragen sich, was mit ihnen verkehrt ist oder nicht stimmt.
Was kann man tun, wenn man sich einsam fühlt?
Einsamkeit ist ähnlich wie Durst. Es fühlt sich nicht gut an, ist aber wichtig, es zu fühlen, weil es ein Grundbedürfnis ist, das unser Überleben sichert. Verspürt man keinen Durst, wird man nichts trinken und sterben. Ähnlich verhält es sich mit Einsamkeit. Es signalisiert genauso ein Bedürfnis, das auf Erfüllung wartet. Das Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt, Zugehörigkeit und emotionaler Bindung. Darum sollte man dieses Gefühl auch nicht verteufeln, sondern ernstnehmen und schauen, welche Möglichkeiten es gibt. Dazu gehört, aktiv auf andere zuzugehen – das kann in den sozialen Medien ebenso sein wie im echten Leben. Es gibt unzählige Angebote, allerdings muss man selbst dafür aktiv werden.
Auch wenn es anfangs große Überwindung kostet …
Natürlich! Am Anfang muss es sogar schwierig sein. Denn alles, was man nicht gewöhnt ist, macht erst mal nervös und fühlt sich unangenehm an. Darum ist es wichtig, seinen Mut zusammenzunehmen und mit kleinen Schritten zu beginnen. Um an der Gesellschaft teilzuhaben, braucht es auch nicht unbedingt Geld. In vielen Gemeinden oder Stadtteilen gibt es zum Beispiel kostenlose Walking-Gruppen, denen man sich anschließen kann. Man kann sich ebenso ehrenamtlich in der Pfarre oder beim Roten Kreuz engagieren. Nachdem viele Menschen von Einsamkeit betroffen sind, gibt es bereits politische Initiativen, die versuchen, Menschen zu verbinden. Stadtteilfeste zum Beispiel, eine Zeit-Tausch-Börse, gemischte Wohnformen oder Initiativen in Seniorenheimen, die jung und alt verbinden.
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