Sorry, not sorry: Wieso wir endlich damit aufhören sollten, uns ständig zu entschuldigen
Autorin und Influencerin Tara-Louise Wittwer im Interview
© WeAreEra/Lewis Jones
Ihr Buch ist eine Verzichtserklärung an das ständige Entschuldigen: Tara-Louise Wittwer hat sich jahrelang kleingemacht und das Entschuldigen als gesellschaftliche Erwartung akzeptiert. Warum jetzt Schluss damit ist und was wir alle daraus lernen können.
Entschuldigung, darf ich kurz mal vorbei?“ Jemand steht im Weg, während du versuchst, ein Produkt aus dem Supermarktregal zu nehmen. Dabei bist nicht du es, die etwas falschgemacht hat. Du benutzt im Fitnessstudio ein Gerät, und jemand wartet darauf: „Sorry, ich bin gleich fertig.“ Dabei hast du jedes Recht darauf, das Gerät so lange zu benutzen, wie du willst, ohne dich dafür zu rechtfertigen. Kommt Ihnen bekannt vor? Nicht verwunderlich. Viel zu oft bitten wir – Frauen im Speziellen – in ganz alltäglichen Situationen um Entschuldigung, selbst wenn es gar nicht notwendig ist.
Autorin und Influencerin Tara-Louise Wittwer nervt es, dass ihr eine schnelle Entschuldigung oft viel leichter über die Lippen kommt als für sich einzustehen. Und dass sie sich oft schuldig fühlt, obwohl es keinen Grund dazu gibt. Doch warum ist es überhaupt wichtig, sich zu entschuldigen, und was bedeutet eine Entschuldigung, wenn sie nicht ernst gemeint ist? Kann man sich überhaupt aktiv entschuldigen oder muss man um Entschuldigung bitten?
Diesen und weiteren Fragen geht Wittwer in ihrem neuen Sachbuch „Sorry, aber …“ auf den Grund, hält unserer Gesellschaft den Spiegel vor – und natürlich auch sich selbst. Im Interview spricht sie über die Rolle von Entschuldigungen in der weiblichen Sozialisierung, den Einfluss von gesellschaftlichen Normen und Selbstakzeptanz als Schlüssel zum Glück.
Erstmal sorry dafür, dass wir deine wertvolle Zeit beanspruchen. Oder eher: Danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview nimmst. Richtig so?
Tara-Louise Wittwer: Perfekt! Sich zu bedanken anstatt zu entschuldigen ist nicht nur höflicher, sondern auch wertschätzender – finde ich.
Entschuldigungen müssen eine ganz schön große Rolle in deinem Leben spielen – und das ist wohl bei uns allen so. Du aber hast diesem Thema ein ganzes Buch gewidmet. Wann und wofür hast du dich zuletzt entschuldigt?
Ja, genau, bei tatsächlich allen Menschen ist das so, aber nicht alle denken da so drüber nach. Ich habe mich gestern (da hatte ich Geburtstag) dafür entschuldigt, dass mein Geburtstag so doof gefallen ist, auf einen Montag. Also habe ich mich tatsächlich an meinem Geburtstag für meinen Geburtstag entschuldigt.
Herzlichen Glückwunsch nachträglich! Eine ganz andere Entschuldigung dir selbst gegenüber liegt dir aber tatsächlich am Herzen, so schreibst du: dafür, dass es dir anderen gegenüber peinlich war, wer du beruflich gesehen bist: eine Influencerin. Wie kam es dazu, dass es dir das mittlerweile nicht mehr ist?
Weil ich dadurch unfassbare und kaum erklärbare Privilegien habe. Mir wird mehr zugehört, meine Worte haben mehr Gewicht. Ich kann meine Stimme erheben, und jemand wird antworten, und ich fühle mich durch meine Follower:innen nirgendwo auf der Erde mehr allein, weil immer jemand jemanden kennt.
Weiblich ist, wer leise ist – dieses Denkmuster zu durchbrechen erfordert das Anerkennen solcher Strukturen und den Willen, daran zu arbeiten.
Tara-Louise Wittwer
Nicht nur mit deiner Berufsbezeichnung, sondern auch mit deiner Größe hast du lange Zeit gehadert, hast dich kleiner gemacht als du tatsächlich bist. Tun wir das nicht alle viel öfter als uns bewusst ist?
Bestimmt, aber nicht alle sind über 1,80 Meter groß, haha. Sich klein zu machen als Frau passiert uns allen, aber sich dann auch noch klein machen – in echt – ist dann noch ein schönes Add-on der Selbstdegradierung. Natürlich nicht schön, aber meine sarkastische Ader muss ich immer wieder erklären. (Lacht)
Dass Frauen sich häufiger entschuldigen als Männer, ist im Alltag ebenso zu beobachten, wie es in Studien belegt wurde. Warum ist das so und wie können wir dieses Muster durchbrechen?
Durch die Sozialisierung. Frauen wird immer gesagt, sie seien zu viel, zu laut, zu „hysterisch“, sie sollen sich zurückhalten. Weiblich ist, wer leise ist – diese Liste ließe sich noch ewig so fortsetzen. Dieses Denkmuster zu durchbrechen erfordert einerseits das Anerkennen solcher Strukturen und andererseits den Willen, daran zu arbeiten.
Gleichzeitig ist die Entschuldigung ja aus den gesellschaftlichen Normen nicht wegzudenken, wir verwenden diese Phrasen in allen Lebenslagen. Doch können wir uns überhaupt selbst ent-schuldigen oder müssen wir vielmehr um Entschuldigung bitten?
Tja, also man sagt ja klar, dass man nur darum bitten kann, und eigentlich stimmt das auch. Trotzdem glaube ich, dass man durch eine ernsthaft ausgesprochene Entschuldigung Reue zeigen kann.
Wenn man selbst Entschuldigungen bekommt, ist der anderen Person zumindest klar, dass sie etwas falsch gemacht hat. Doch was, wenn die Entschuldigung ausbleibt?
Das ist natürlich das Härteste – zumindest war es das für mich. Dann geht es darum zu erkennen, dass dir trotz fehlender Entschuldigung dennoch ein Unrecht angetan wurde, und dich nicht völlig verantwortlich zu machen. Zu heilen, ohne dass jemand kam, um dich heil zu machen. Daran hatte ich lange zu knabbern.
Die Angst, nicht von allen gemocht zu werden, ist weit verbreitet und auch bekannt als
People Pleasing. Wie hast du gelernt, diese Angst zu überwinden?
Hab ich bis heute nicht! Aber ich versuche, mir täglich bei Dingen, die ich sage oder tue, klarzumachen, dass es okay ist, wenn das jetzt einer Person nicht gefällt. Weil Fremdeinwirkungen nicht meinen Wert bestimmen können.
Jemand tritt mir auf den Fuß, und ich sage „sorry“ dafür, dass ich im Weg stand: Welchen Tipp würdest notorischen Entschuldiger:innen für den Alltag abschließend mit auf den Weg geben?
Es zu lassen! Haha, das wäre doch zumindest schon mal ein Anfang. Oder mein Buch lesen – nicht, weil das so ein Meisterwerk ist, sondern weil man sich danach einfach automatisch hinterfragt. „War das jetzt notwendig? Hätte ich mich entschuldigen müssen? Wann muss ich mich eigentlich entschuldigen!?“ Das Hinterfragen kommt dann von allein.
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MEHR ÜBER DIE AUTORIN DIESES BEITRAGS:
Leonie Werus betreut die Ressorts Genuss, Wohnen und Freizeit. Sie ist ein echter Workhaholic und weiß es jede Minute gut für sich zu nutzen. Mit ihren Airfryer, liebevoll Fritti genannt, probiert sie gerne neue Rezepte und versucht nebenbei das TIROLERIN-Team zum Sport zu motivieren – meist leider vergeblich.
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