
Digitale Gewalt an Frauen steigt
Eva Schuh, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrum Oberösterreich, im Interview über Gewalt an Frauen.
© pexels
Anonyme Befragungen zeigen, dass jede dritte Frau ab ihrem 15. Lebensjahr zumindest einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen ist. Dass die Zahl der hilfesuchenden Frauen in Österreich weiterhin steigt, führt Eva Schuh, Geschäftsführerin des Gewaltschutzzentrum Oberösterreich, auf ein größeres Bewusstsein für dieses Thema zurück. In unserem Interview erklärt sie, warum die Digitalisierung in Form von Cyber-Stalking und digitaler Überwachung ein immer größeres Problem darstellt, welche politischen Maßnahmen es braucht und warum verpflichtende Anti-Gewalt-Trainings für Täter wichtig sind.
Wie hat sich die Zahl der Hilfesuchenden in den vergangenen Jahren entwickelt? Welche Trends beobachten Sie aktuell?
In Oberösterreich steigt die Zahl der Hilfesuchenden weiterhin an. Ich bin seit 17 Jahren in diesem Bereich tätig und kann mich nur an ein einziges Jahr erinnern, in dem diese Zahl nicht gestiegen ist. Ich führe diese Entwicklung jedoch weniger auf eine Zunahme der Gewalt zurück, sondern vielmehr darauf, dass unser Angebot bekannter geworden ist und die Polizei heute deutlich sensibilisierter vorgeht.
Seit 2021 gibt es in jeder Polizeidienststelle speziell geschulte Präventionsbeamte. Zudem ist Gewalt gegen Frauen kein so großes Tabuthema mehr wie früher, was mehr Betroffene ermutigt, Hilfe zu suchen. Noch vor einigen Jahren hatten Frauen große Schamgefühle – viele waren der Meinung, sie seien allein betroffen. Außerdem vermitteln Gewalttäter immer, dass die Frau selbst schuld sei, was das Hilfesuchen zusätzlich erschwert hat.
Es heißt, die Dunkelziffer sei dennoch sehr hoch …
Ja, das legen anonyme Befragungen nahe. Jede dritte Frau ab dem 15. Lebensjahr erlebt mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt. Wir gehen daher davon aus, dass die Dunkelziffer nach wie vor erheblich ist.
Wir arbeiten mit einem digitalen Forensiker zusammen, um mit der rasanten technologischen Enwicklung Schritt zu halten.
Mag. Eva Schuh, Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum Oberösterreich
Welche Formen von Gewalt gegen Frauen begegnen Ihnen am häufigsten bei Ihrer Arbeit im Gewaltschutzzentrum?
Frauen sind selten nur einer Gewaltform ausgesetzt, sondern meist mehreren gleichzeitig. Dazu gehören körperliche, psychische, sexualisierte und ökonomische Gewalt – also, wenn die Frau nicht frei über ihr Einkommen verfügen kann oder nicht arbeiten gehen darf. Durch die Digitalisierung sind Cyber-Stalking und digitale Überwachung ein immer größeres Thema geworden. Gewalt hängt oft mit Macht und Kontrolle zusammen – digitale Mittel wie Standortüberwachung per Handy oder ständige Kontrollanrufe spielen dabei eine große Rolle. Auch Smarthome-Technologien sehen wir mit großer Sorge. Zwei unserer Kolleginnen befassen sich speziell mit diesen Themen. Außerdem arbeiten wir mit einem digitalen Forensiker zusammen, um mit der rasanten technologischen Entwicklung Schritt zu halten.
Welche Faktoren tragen dazu bei, dass Gewalt gegen Frauen weiterhin ein großes gesellschaftliches Problem ist?
Ein zentrales Problem ist die nach wie vor fehlende Gleichstellung. Patriarchale Strukturen halten Frauen klein, während männliches Besitz- und Machtdenken weiterhin stark verankert ist. Noch immer gibt es die Vorstellung, dass der Mann entscheidet und die Partnerin ihm gehört. Die Pandemie hat zudem zu einem Rückschritt geführt, weil es wieder die Frauen waren, die daheim geblieben sind, die Kinderbetreuung übernommen und unbezahlte Arbeit geleistet haben. Auch international problematische Aussagen, wie jene von Donald Trump, der Frauen in Führungspositionen für die unzureichende Eindämmung der Feuersbrunst in Los Angeles verantwortlich gemacht hat, zeigen, wie tief dieses Denken in konservativen Kreisen noch immer verankert ist.

Wie gut ist das bestehende Hilfssystem aufgestellt, um betroffenen Frauen schnell und effektiv zu helfen?
Grundsätzlich haben wir ein gutes System. Frauen, die den ersten Schritt wagen, erhalten bei uns rasch, unkompliziert und kostenlos Unterstützung. Wir bieten auch anonyme Beratungen an, bei denen keine persönlichen Daten angegeben werden müssen. Alle Gespräche sind zudem vertraulich – wir müssen nur tätig werden, wenn das Wohl von Kindern gefährdet ist.
Wie bewerten Sie die aktuelle rechtliche Lage zum Schutz von Frauen? Was bringt ein Betretungs- und Annäherungsverbot, wenn es nicht überwacht wird?
Tatsächlich halten sich geschätzt 90 Prozent der Gewalttäter an solche Verbote. Bei einem Verstoß kann die Frau die Polizei rufen, die dann sofort einschreiten und den Täter entfernen muss. In schwierigen Fällen kann es jedoch lange dauern, bis Maßnahmen gesetzt werden. Ich habe noch nie erlebt, dass ein Gewalttäter eine Haftstrafe bekommt – selbst bei wiederholten Verstoßen.
Dennoch halte ich unser Rechtssystem für gut. Leider wissen wir bei Femiziden, dass sich die Opfer vorher oft aus unterschiedlichen Gründen keine Hilfe gesucht haben. Um mehr Sichtbarkeit zu schaffen, haben wir während der Aktion „16 Tage gegen Gewalt“ eine österreichweite Plakatkampagne gestartet und arbeiten zusätzlich an einem einheitlichen Social-Media-Auftritt.
Reicht eine Plakatkampagne aus, um Gewalt gegen Frauen sichtbarer zu machen?
Sicher nicht sofort, aber ständige Präsenz ist wichtig. Wenn jemand eine Botschaft zehn Mal sieht, bleibt sie in Erinnerung. Aus diesem Grund müssen wir das ganze Jahr über Öffentlichkeitsarbeit leisten. Ein weiteres Anliegen ist für mich, klarzustellen, dass Gewalt gegen Frauen alle Gesellschaftsschichten betrifft. Auch Akademiker können Gewalttäter sein – und für die Opfer aus diesen Kreisen ist es oft noch viel schwieriger, sich Hilfe zu suchen.
Wir halten es für sehr bedenklich, dass man für gewisse Waffen keinen Waffenschein braucht. Hier braucht es dringend eine Änderung.
Mag. Eva Schuh, Geschäftsführerin Gewaltschutzzentrum Oberösterreich
Würde eine Fußfessel für Gefährder helfen? In Spanien gibt es GPS-Tracker für beide Parteien. Wäre das auch für Österreich sinnvoll?
Europaweit gibt es verschiedene Modelle, die man sorgfältig prüfen muss, weil eine Echtzeit-Überwachung ein wesentlicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte ist. In Hochrisikofällen halte ich sie für sinnvoll. Wichtig ist aber, dass die Überwachung kein Ersatz für Untersuchungshaft wird. Außerdem muss auch die Frau zustimmen, da sie ebenfalls überwacht würde. Zudem dürfte eine solche Maßnahme nicht automatisch bei jedem Annäherungs- und Betretungsverbot verhängt werden. Das finden wir nicht verhältnismäßig – auch, was die Kosten betrifft.
Was könnte mit diesem Geld stattdessen finanziert werden?
Sinnvoller wäre es, opferschutzorientierte Täterarbeit auszubauen. Gewalttätiges Verhalten ist oft erlernt, und Männer müssen lernen, Konflikte anders zu bewältigen.
Welche politischen Maßnahmen sind am dringendsten erforderlich, um Gewalt gegen Frauen wirksam zu bekämpfen?
Wir halten es für sehr bedenklich, dass man für gewisse Waffen keinen Waffenschein braucht. Waffen der Kategorie C, das sind Büchsen und Flinten, können ab 18 Jahren ohne Genehmigung erworben werden – hier braucht es dringend eine Änderung. Zudem sollte die juristische Prozessbegleitung durch eine Anwältin nicht nur in Strafverfahren, sondern auch in Zivilverfahren wie Scheidungen gewährleistet sein. Wir fordern auch einen stärkeren Schutz der Opferrechte. Aktuell gibt es zwar Rechte, aber keine Konsequenzen, wenn sie im Verfahren nicht eingehalten werden.
Was kann die Gesellschaft tun, um Betroffenen zu helfen?
Jeder kann im eigenen Umfeld sensibilisiert sein. Wenn jemand abwertende Witze über Frauen macht oder sich respektlos verhält, sollte man das unbedingt ansprechen. Bei akuter Gefahr immer die Polizei rufen. Ansonsten hilft es oft schon, betroffene Personen darauf anzusprechen, ihnen zuzuhören und sie behutsam auf Hilfsangebote hinzuweisen – ohne Druck, denn Betroffene brauchen oft Zeit, um den ersten Schritt zu wagen.
Kostenlose & anonyme Hilfe für Opfer von Gewalt:
www.gewaltschutzzentrum.at
www.frauenhaus.at
www.frauenzentrum.at
www.frauenhelpline.at
Tel. 0800/222 555 (anonym, kostenlos, rund um die Uhr erreichbar!)
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