Breitenseer Lichtspiele: Kennst du schon Wiens ältestes Kino?
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© Vanessa Hartmann/ Vandehart Photography
Gutes Kino ist mehr als Film Schauen, findet Christina Nitsch-Fitz. Sie betreibt Wiens ältestes Kino, die Breitenseer Lichtspiele, und wurde kürzlich nicht ohne Grund für ihr facettenreiches Programmieren ausgezeichnet.
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Das dynamische Ächzen der Schwingtür, das sanfte Knarzen der Holzstühle, das Lachen des Publikums, das dumpf durch die Saaltüren dringt und das leise Rattern des 35-Milimeter-Projektors – all das zusammen ergibt jene Komposition, der Anna Nitsch-Fitz mit Liebe lauschte.
Und all das ist nun Musik in den Ohren ihrer Nichte. Buchstabe für Buchstabe wird das Kinoprogramm der Breitenseer Lichtspiele an die beleuchtete Tafel gesteckt, die Hoffnung gilt nicht nur kurzen Titeln, „sondern auch, dass mir nicht erst ein Fehler auffällt, wenn‘s schon oben hängt“, verrät Dieter Mattersdorfer in jenem „heiligen“ Raum, der sonst nur Filmvorführer:innen vorbehalten ist.
Mit ihm gemeinsam führt Christina Nitsch-Fitz seit gut zwei Jahren Wiens ältestes Kino. Die Fotografin war klug, ihre Tasche im petrolfarbenen Foyer zurückzulassen. Schon seit der schmalen, steilen Treppe, die es ab der Seitentür zu erklimmen galt, ist mein Rucksack im Weg, im Vorführraum ist erst recht kein Platz dafür. Dort thronen majestätisch zwei gut 60 Jahre alten Projektoren der Firma Friedl-Chaloupka, die erst im Vorjahr restauriert wurden.
„Die zwei Brüder aus dem siebenten Bezirk haben extrem hochwertige Filmprojektoren hergestellt und weltweit vertrieben, das sind unzerstörbare Teile“, weiß Christina Nitsch-Fitz. „Sie sind schwer und schön – und
schwer zu bedienen.“ Aktuelle und Filme aus den vergangenen beiden Jahrzehnten werden zum Großteil mit ein paar Klicks zum Laufen gebracht; mit der Sonderförderung der Stadt Wien während der Coronazeit schaffte sie sich einen modernen digitalen Projektor an.
Die beiden Friedl-Chaloupkas bedient ausschließlich ein Kinoafficionado, der sich die Fertigkeiten, für die es einst eine Berufsausbildung gab, selbst beibrachte.
Das Lebenswerk der Tante
Mit Quereinsteiger:innen hat das Kino Erfahrung. Mehr als 50 Jahre hindurch wurde es von Anna Nitsch-Fitz betrieben, die im Brotberuf Mathematik-Lehrerin war. „Die Breitenseer Lichtspiele waren ihr Hobby und ihr Lebenswerk“, weiß ihre Nichte Christina. Ihre Tante wuchs sozusagen im Nußdorfer Kino ihrer Großmutter auf; sie spielte dort im Sandkasten im Hof, riss später die Karten der Gäste ab.
Als die Oma starb, führte sie das Kino noch eine Weile weiter, doch der Vater, ein Arzt, konnte dem wenig abgewinnen – das Kinosterben hatte bereits eingesetzt – und verkaufte das Haus, „ein sehr schönes palastartiges Kino“, wie Christina Nitsch-Fitz erst kürzlich alten Fotos entnahm. Einen einzigen Sommer hielt es ihre Tante ohne eigene Leinwand aus, dann übernahm sie die Breitenseer Lichtspiele.
Sie blieb aber auch Lehrerin: Vormittags unterrichtete sie, nachmittags sperrte sie das Kino auf, machte dort ihre schulischen Vorbereitungen und korrigierte Hefte. 2022 musste sich Christina Nitsch-Fitz für immer von ihr
verabschieden. Davor machte sie ihr das größtmögliche Geschenk und zwar eines, womit die Tante zuvor nicht gerechnet hatte: Die Kindergartenpädagogin – sie ist Mutter eines 16-jährigen Sohnes – übernahm die Breitenseer Lichtspiele.
„Jetzt hole ich die Kinder hierher“, lacht Christina Nitsch-Fitz, die prompt ein spezielles Programm für die Kleinsten einführte: Animationsfilme mit Live-Musik. Anfangs hatte sie versucht, beide Jobs parallel zu machen, musste aber bald einsehen, dass sie nicht kompatibel waren. Sie ging in Bildungskarenz, absolvierte einen Lehrgang für Kulturmanagement – und übernahm voller Elan das Ruder im Kino.
Noch während der Pandemie renovierte sie, packte gemeinsam mit ihrem Kollegen Dieter Mattersdorfer selbst an: Sie rissen mehrere Tapetenschichten von den Wänden, befreiten den Holzboden vom Linoleum, malten aus und strichen die Fassade. „Das hat uns auch Spaß gemacht, uns aus der schlimmen Coronazeit rausgeholt – und es war schön, dass meine Tante das noch erleben konnte.“
Dass es wieder weitergehen wird, daran zweifelten sie nicht, sagt sie, „wir sind die ärgsten Optimisten! Selbst wenn wir am Jahresende sehen, es sieht nicht gut aus, sagen wir: ,Das nächste Jahr wird besser‘“. Ob es sich für die beiden ausgeht?
„Vorerst nicht, Dieter arbeitet auch noch nebenbei“, bedauert Christina Nitsch-Fitz und wird doch ein bisschen traurig. „Es gibt Durststrecken, wir sind aber noch ziemlich am Anfang; wir arbeiten beispielsweise an Kooperationen mit Filmfestivals und daran, dass wir mehr in die gesamte Wiener Kinolandschaft integriert werden.“ Was sie festhält? „Schon allein diese Atmosphäre. Wenn ich hier reinkomme, bin ich in einer anderen Stimmung. Ich freue mich über den positiven Kontakt mit den Gästen, niemand geht genervt ins Kino.“
Auszeichnung für die Breitenseer Lichtspiele
Sie liebt das Erleben der Filme, das Programmieren und Organisieren mit spannenden Menschen. Filmemacher:innen und Schauspieler:innen kommen, um ihre Arbeiten zu präsentieren und mit dem Publikum
darüber zu sprechen, „und plötzlich verschmelzen die Welten und du wirst Teil des Ganzen“. Kraft geben ihr außerdem die positiven Rückmeldungen, sowohl von den Stammgästen, als auch von jenen, die die Breitenseer Lichtspiele neu entdecken – und ihr Tun fiel kürzlich auch einer Fachjury positiv auf.
Die Breitenseer Lichtspiele wurden mit dem „Österreichischen Kinopreis für besonders engagierte Zielgruppenarbeit“ ausgezeichnet (durch das Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen
Dienst und Sport). Christina NitschFitz hat nicht das gesamte Programm der Tante umgekrempelt, Bewährtes behielt sie aus Überzeugung bei: wie beispielsweise die Stummfilm-Abende mit dem Piano, „das muss im ältesten Kino Wiens sein“, lacht sie.
„Mir ist wichtig, dass möglichst viele Bereiche abgedeckt sind: Da sind Klassiker dabei, etwas für Familien, etwas
für Senior:innen und einen großen Fokus lege ich auf den europäischen und österreichischen Film. Ich schaue auch darauf, dass es in den Raum passt.“ 153 Sitzplätze zählt der Saal, es gibt freie Platzwahl.
So wie es auch ihre Tante war, ist sie ebenso offen für neue Ideen und Initiativen. Sie veranstaltet Premieren für
heimische und lokale Produktionen, wie zuletzt etwa für die Doku „Geschäfte mit Geschichte“ und große Freude macht ihr die Kinokultreihe, für die sie jeweils namhafte Künstler:innen einlädt, um ihre persönlichen Lieblingsfilme zu präsentieren.
Erni Mangold, Hermes Phettberg und Hubsi Kramar waren schon da, gerne möchte sie demnächst Maria Hofstätter anfragen. Voodoo Jürgens beehrte die Breitenseer Lichtspiele bereits einmal, „das nächste Mal wäre ein Konzert toll“, überlegt Christina Nitsch-Fitz.
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Mehr InformationenFreilich wünscht sie sich mehr Besucher:innen, einen Groll gegen das Streamen hegt sie aber nicht, „ich streame zuhause ja auch, aber ich habe auch erlebt, dass mich ein Film im Kino gefesselt und daheim gelangweilt hat.
Natürlich geht man mit einem anderen Gefühl nach Hause, wenn man etwas gemeinsam erlebt und vielleicht auch noch Gespräche zum Film führt, eine Lesung oder ein Konzert dazu hört“. – „Ich genieße es auch, wenn ich draußen im Foyer sitze und arbeite und die Leute drinnen lachen höre. Das steckt an und es ist etwas Verbindendes, das man zuhause so nicht hat.“
Die Ideen gehen Christina Nitsch-Fitz und ihrem Kollegen Dieter Mattersdorfer jedenfalls nicht aus; so überlegt
das Duo, auch im Sommer ein Programm zu bieten – bislang hatten sie in den Ferien geschlossen –, schön wäre zudem ein Gastgarten, „damit es auch vor dem Kino belebter wird“.
Eine große Sache ist schon für den Mai fixiert: Erstmals wird ein hauseigenes Festival für Experimentalfilm über die Bühne gehen. „Ein nostalgisches Kino kann auch ein Ort für Modernes sein. Gerade das mag ich, wie wandelbar dieser Ort ist, auch im Alltag: Nachmittags kommen mal Familien, mal Senior:innen, die auch ein nettes Kaffeeplauscherl haben, und abends die kunstfilminteressierten Alternativen – oder gemischt. Es ist immer stimmig.“
Breitenseer Lichtspiele: Programm im Februar
CHRISTINA NITSCH-FITZ‘ HERZENSTIPPS:
- Alice Rohrwacher: La Chimera
- Fritz Lang: Frau im Mond, Science-Fiction-Klassiker
live vertont von Elaine Loebenstein
AUSSERDEM AM PROGRAMM:
- Andrew Legge: Lola
- Ludwig Wüst: I AM HERE!
- Leandro Koch und Paloma Schachmann:
The Klezmer Project, mit Konzert am 3. Februar - Adrian Goiginer: Rickerl – Musik is höchstens a
Hobby - Radu Jude: Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt
- Antonin Svoboda: Persona Non Grata
- Philipp Graf & Martin Frey: Geschäfte mit Geschichte, Kurzfilmporträts alter Wiener Geschäfte
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- Valentinstag: Kurzfilm-Klassiker mit Karl Valentin und
Liesl Karlstadt - Marc Fitoussi: Reif für die Insel
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- Gilles Legardinier: Monsieur Blake zu Diensten
Weitere Infos: https://breitenseer-lichtspiele.at/