Ein Mann und eine Frau liegen in der Badewanne und küssen sich fast

Wie arbeiten eigentlich Intimitätskoordinator:innen an Filmsets?

Wie intim darf's sein?

8 Min.

© Zodiac Pictures/Yunus Roy Imer 2022

Wie gelingt glaubwürdig gespielte Intimität? Was hat sich verändert? Warum ist die Darstellung von Sex und Co auch gesellschaftlich relevant? Über das facettenreiche Tun von Intimitäts­koordinator:innen.

Sie war Anfang 20, hatte noch wenig Schauspielerfahrung – und sollte eine Prostituierte spielen. „Es war eine meiner ersten TV-Rollen – mit vielen schönen Spielszenen, aber auch vielen intimen Szenen“, erinnert sich Verena Altenberger. „Ich habe mich damals von einem Psychotherapeuten beraten lassen, welche Rituale ich zur Abgrenzung machen kann. Einige finde ich heute mit viel Erfahrung und Verständnis für Situationen am Set noch immer hilfreich.“

Am deutlichsten habe sie damals den Unterschied zwischen den männlichen Kollegen gespürt. „Es gab viele entspannte und eine sehr unangenehme Begegnung. Besonders positiv war: Mein Kollege Martin Leutgeb hat mich lieb und professionell durch diese Drehtage geschippert. Es ist wichtig, grad am Anfang einen Verbündeten zu finden.“ Nein sagen zu können, brauchte lang, und es gab auch schmerzhafte Erfahrungen. „Dass ich meine Grenzen überschreite, passiert auch heute ab und an – und das finde ich okay. Für mich steht im Vordergrund, etwas über das Leben herauszufinden, Sicherheit kommt da manchmal nicht an erster Stelle. Ich muss am Set nicht in jeder Sekunde glücklich und behütet sein, aber ich möchte nicht abends zuhause weinen und mit etwas nicht klarkommen“, erklärt sie.

Eine jüngere Entwicklung: Es werden vermehrt Intimitätskoordinator:innen eingesetzt. Warum es sie braucht? „Weil Filme und Theaterstücke dadurch meistens noch besser werden“, sagt Verena Altenberger. Nämlich aus kreativer Sicht – vergleichbar mit Choreograf:innen, mit denen Tanzszenen erarbeitet und perfektioniert würden und die somit Wichtiges zur Magie beitrügen, sagt sie. Ein weiterer Aspekt: „Ich möchte auch, dass sich alle wohl- und in Sicherheit fühlen am Set. Auch dafür gibt es diese Profis, und ich bin beruhigter, wenn sie anwesend sind. Ich denke, dass dann meine Grenzen beschützt werden und ich auch freier sein kann, weil die Grenzen meines Gegenübers klar kommuniziert sind.“

Intimitätskoordinator:innen machen Filme besser

Die Wienerin Cornelia Dworak gehört zu den wenigen Intimitätskoordinator:innen in Österreich. Seit 2020 absolvierte sie eine Reihe von Ausbildungen, zum Interview kommt sie frisch aus Italien – nach einem Kurs für hypnosystemische Konzepte im Coaching. Kurz gefasst: Es geht darum, Menschen zu unterstützen, stärkende Strategien für Situationen zu finden, die sie womöglich wegen früherer Erfahrungen triggern.

Tanz, Bewegung und Körperarbeit gehörten immer zu ihrem Leben, in der Filmbranche arbeitet sie seit fast 20 Jahren; sie begann als Stuntfrau, wurde später Stuntkoordinatorin und erweiterte zuletzt ihr Wirkungsfeld um „Intimacy Coordination“. „Ich habe erlebt, wie Schauspieler:innen unter Zeitdruck Dinge gemacht haben, womit sie sich später unwohl fühlten“, erzählt sie. „Früher hieß es am Set: Küssen kann ja jede:r, Sex hat auch jede:r – improvisiert!“

Für intime Szenen brauche es aber genaue Absprachen und eine exakte Vorbereitung, sagt Cornelia Dworak. Sie holt vor dem Dreh möglichst viel Information von der Regie ein, dokumentiert Berührungsvereinbarungen und spricht mit den Schauspieler:innen akribisch Szenen ab. Die Basis: ein vertrauensvoller Rahmen. Die Bedürfnisse sind individuell, wiederkehrend sei etwa das Thema Menstruation. „Es wird oft so getan, als hätte das auf nichts einen Einfluss. Das hat es natürlich schon: Da geht es um unterschiedliche Empfindlichkeiten bei Berührungen oder darum, wie eine Nacktszene gespielt werden soll“, erklärt sie. Männer fragen wiederum: Was ist, wenn ich eine Erektion bekomme? „Alles relevante Gedanken, wir sprechen hier von biologischen Prozessen.“

Um eine „Barriere“ zwischen den Körpern zu bauen, werden Genitalcover (siehe Foto) mit Silikoneinlagen gepolstert. Eine Erektion passiere am Set tatsächlich selten, „aber ich mache mir immer mit allen Schauspieler:innen Zeichen aus und kann jederzeit unter einem Vorwand eine Pause einleiten.“

„Was wer braucht, hängt von vielen Faktoren ab: Eine routinierte Hauptdarstellerin erlebt eine andere Dynamik als eine Studentin. Was in einer Szene okay ist, kann mit einem anderen Kollegen vielleicht nicht okay sein.“ Es passiere auch, dass während des Drehs ein:e Schauspieler:in sagt, es sei alles in Ordnung, „die Person das aber nur sagt, weil sie sich nicht sicher genug fühlt, Nein zu sagen. Ich versuche darum immer, den Raum zu lesen, weil mir dann in der Körperhaltung und Mimik Abweichungen auffallen können“.

Grenzen abstecken und wahren ist der eine Part ihres Jobs, der zweite große Part umfasst künstlerische Bereiche. „Ich bin Spezialistin darin, Geschichten mit Bewegung und Körper zu erzählen – auf Grundlage einer fundierten körperlichen Ausbildung“, erklärt sie. „Im Idealfall erarbeiten wir gemeinsam mit Regie, Cast und Kamera Bewegungsabläufe und probieren Ideen aus. Hier spielen viele Details wie Bewegungsrhythmus, Atmung, Berührungsarten eine Rolle. Schöne, authentische intime Szenen hatten wir bei der Serie ,30 Tage Lust‘: mit diversen Körpern, mal hat jemand ein Haar im Mund, mal will der Sex einfach nicht klappen.“ – Nachsatz: „Ein bis heute leider oft reproduziertes Stereotyp ist der gleichzeitige Orgasmus.“

Fallbeispiel „Ohne jede Spur – Der Fall Nathalie B.“

Wenngleich der Inhalt alle sehr forderte, erlebte Cornelia Dworak eine besonders schöne Zusammenarbeit mit Regisseurin Esther Rauch für den Film „Ohne jede Spur – Der Fall Nathalie B.“. Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit: Eine Sportlerin wird gekidnappt – und manövriert sich nach qualvollen Tagen selbst wieder aus der Gefangenschaft. „Für Esther war von Beginn an klar: Nathalie soll nicht bloß als Opfer, sondern als handelnder Mensch dargestellt werden. Das hat mich sehr interessiert.“

Zudem spricht sich die Regisseurin offen für den wichtigen Stellenwert von Intimitätskoordination aus. Esther Rauch denkt an zwei Schlüsselmomente zurück: „Ich war noch Regieassistentin, als ich erlebte, wie eine Schauspielerin für eine Nacktszene gedoubelt wurde: Es war schockierend, als das Double kam und plötzlich der Respekt am Set vor der Intimität eines Menschen fiel.“ Einprägsam war für sie auch, als sie die feministische Pornofilmemacherin Erika Lust bei einem Berlinale-Panel hörte: „Sie hat betont, wie wichtig es ihr ist, dass alle vorher wissen, was genau gefragt ist, was die nächste Einstellung ist und was man im Film sehen soll. Ob einvernehmliche oder erzwungene Intimität, es ist immer zu behandeln wie eine Stuntszene: Alle wissen über alles Bescheid, und man dreht exakt nur den Teil.“

Ein Missverständnis hielte sich hartnäckig: „Die ,Intimacy‘ brauchen wir nicht, weil es an Vertrauen zwischen Regie und Schauspieler:innen mangelt, im Gegenteil: Eben weil das Vertrauen oft so groß ist, würde beispielsweise gerade mir passieren, dass ich aus Vorsicht vorzeitig abbreche, oder umgekehrt, dass ein:e Schauspieler:in fälschlicherweise mir zuliebe etwas tut. Da braucht es eine Person, die das exekutiert und sagt: ‚Du wolltest vorher nicht, dass dein Gesäß gezeigt wird, also kommt die Szene raus, wo es jetzt versehentlich sichtbar ist.‘“

„Es geht auch um gesellschaftliche Verantwortung“, betont Esther Rauch. „Die Urfassung von ,Ohne jede Spur‘ erzählte auch aus der Täterperspektive, wie er sich ein schönes Date mit ihr vorstellt. Das ist filmisch gesehen verführerisch, gesellschaftlich der völlige Irrsinn. Damit hätten wir ein Bild unterstützt, es wäre okay, wenn ein Mann eine Frau unter seiner Glocke hält“, erklärt sie. „Ein anderes Beispiel: Es ist ja an sich kein Problem, die Beine einer schönen Frau zu zeigen. Aber wenn wir zuerst von den Beinen über das Dekolleté rauf zum Gesicht schwenken, sagen wir, dass es bei Frauen in erster Linie darum geht, welche körperlichen Features sie hat, bevor sie den ersten Satz sagen darf.“

Die Sportlerin Nathalie B. erlebte Gewalt und sexualisierte Gewalt, „von ihr als einer Frau zu erzählen, die sich durchsetzt, die Hoffnung aufs Leben hat, machte die Arbeit am Film leichter, als man denken würde“, sagt Luise Von Finckh, die sie verkörperte. „Die Arbeit mit Conny war eine riesige Erleichterung. Sie hat aufgepasst, wo ich zu ,drin‘ war, und hat mich beispielsweise auch nach einer sehr brutalen Szene ermutigt, eine Pause zu machen. Wenn ich auch mental differenzieren konnte, hatte ich trotzdem Gewalt erfahren. Sie hat mich inspiriert, reflektierter damit umzugehen, was mit meinem Körper beim Spielen von Figuren passiert, und mit uns das Rein- und Rausgehen aus der Rolle erarbeitet.“

Dominic Marcus Singer spielte den Täter. Damit hat er bereits Erfahrung, in der zweiten Staffel der Serie „Der Pass“ verkörperte er die Rolle des Serienmörders. „Umso mehr habe ich gehadert, ob ich das nun spielen will“, sagt er. Ohne Cornelia Dworaks feinfühlige Unterstützung hätte er abgelehnt, betont er. Denn eine Rolle als Gewalttäter verlange mitunter so viel von einem ab, „dass ich mich nach bestimmten Szenen sogar gefragt habe, ob ich diesen Beruf noch ausüben kann. Man darf nicht vergessen: Das Publikum sieht eine Szene einmal, aber wir spielen sie zig Mal durch.“

Auch dass er nach dem Dreh bewusst eine Auszeit nehmen konnte, führt er auf die Intimacy-Begleitung zurück. „Unsere Verantwortung war hier besonders groß, weil es auf einer wahren Begebenheit basiert und weil alles Intime gewaltsam ist. Umso dankbarer bin ich, dass wir im Vorfeld wirklich mehrere Tage proben konnten, für solch eine Rolle ist Intimacy Coordination elementar.“

Qualitätskriterien für Intimitätskoordinator:innen

Ob sie in eine Produktion integriert wird bzw. in welchem Ausmaß, variiere in Österreich noch sehr, weiß Cornelia Dworak, die bereits in mehreren Ländern Europas tätig ist. Ein Meilenstein könnte bevorstehen: Mit den Kolleginnen Katharina Haudum und Bernadette Maria Leitner sowie der australischen Expertin Michela Carattini erarbeitete sie einen Entwurf mit Qualitätskriterien bzw. Standards im Auftrag des Österreichischen Filminstituts. Sie sollen demnächst die Arbeit der Intimitätskoordinator:innen erleichtern und für mehr Klarheit beim Dreh intimer Szenen in der österreichischen Filmbranche sorgen. Obwohl ihr Department als Bereicherung fungieren soll, missverstünden es manche noch als „Sexpolizei“, weiß Cornelia Dworak. „Mit Grenzen verbindet man oft eine Restriktion, dabei ist es umgekehrt: Innerhalb von klaren Grenzen kann man sich viel freier bewegen.“

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