Girl vs. Girl: Wie die Popkultur der 2000er Frauen gezielt gegeneinander aufbrachte. © Pexels/Cottonbro Studio

Wie die Popkultur der 2000er Frauen gegeneinander aufbrachte

Sophie Gilbert blickt auf das Frauenbild der Nullerjahre zurück – und zeigt, wie Popkultur uns gezielt gegeneinander aufbrachte.

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Girl vs. Girl: Wie die Popkultur der 2000er Frauen gezielt gegeneinander aufbrachte. © Pexels/Cottonbro Studio

Kultur, Körper und Kontrolle: Sophie Gilbert blickt auf das Frauenbild der Nullerjahre zurück – und zeigt, wie Popkultur uns gezielt gegeneinander aufbrachte.

Von außen betrachtet war es eine Zeit voller Glanz, Girl-Power und Glamour: Die frühen 2000er waren laut, schrill, sexy – aber unter der glitzernden Oberfläche brodelte eine Kultur, die Frauen vor allem eines abverlangte: sich selbst kleinzumachen. In „Girl vs. Girl: Wie Popkultur Frauen gegeneinander aufbringt“ seziert die US-Kulturjournalistin Sophie Gilbert mit Präzision, wie ein ganzes Jahrzehnt an scheinbar harmloser Unterhaltung Frauen nicht nur objektivierte – sondern auch immer wieder gegeneinander aufbrachte.

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Objektifizierung getarnt als Empowerment.

Für viele junge Frauen, die mit „Sex and the City“, IT-Girls wie Britney Spears und Paris Hilton oder den ersten Staffeln von „Germany’s Next Topmodel“ aufgewachsen sind, wirkt die Zeit rückblickend wie ein popkulturelles Paradies: Lipgloss, Hüfthosen, Glitzertops und Girl-Power. Doch Gilbert zieht in ihrem Buch die schillernde Verpackung ab – und legt eine Realität frei, in der Frauen auf ein „geformtes Ich“ reduziert wurden, das vor allem eines sein sollte: attraktiv, verfügbar und perfekt.

In zehn Kapiteln zeichnet sie nach, wie die Nullerjahre von einem Idealbild beherrscht wurden, das weniger mit Selbstbestimmung, dafür viel mit Selbstoptimierung zu tun hatte. Ob in Musikvideos, Modetrends oder Serien – überall war zu sehen: Sex sells. Nur wurde diese Sexualisierung nicht als Fremdbestimmung, sondern als „Empowerment“ verkauft.

Weiblichkeit als Ware.

Ein zentrales Kapitel des Buches beschäftigt sich mit der Pornografisierung der Popkultur – einem Prozess, der nicht nur in den Tiefen des Internets stattfand, sondern direkt auf Plattformen wie MTV, in Werbeplakaten und im Alltag. Diese verbreiteten ein Frauenbild, das zwar aufreizend, aber auch kontrollierbar sein sollte. Gilbert analysiert das nüchtern: „Objektifizierung ist nur der erste Schritt zur Entmenschlichung.“

Besonders erschütternd wird das, wenn sie beschreibt, wie Promi-Sexvideos stolz von Klatschmagazinen geleakt, Upskirt-Fotos junger Frauen verbreitet oder damalige Teenager:innen wie Britney Spears durch Medien gezielt sexualisiert wurden – während ihre Zustimmung ausgeblendet und zur Nebensache wurde.

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Wettkampf unter Frauen – als Unterhaltungsformat.

Einen weiteren Fokus legt Gilbert auf das Frauenbild im Reality-TV. Sendungen wie „The Bachelor“ oder „Topmodel“ seien nicht bloße Unterhaltung gewesen, sondern ähnlich wie ein Training in sozialer Ausgrenzung und Konkurrenzdenken: Wer nicht schön genug war, flog raus. Wer aneckte, wurde zur „Drama Queen“ erklärt. Die Botschaft: Sei wie alle anderen, aber ein bisschen besser. Solidarität unter Frauen hatte darin keinen Platz – im Gegenteil: Zickenkrieg war Programm, schließlich wurde es ständig absichtlich gefördert.

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Die stillen Prägungen der Nullerjahre.

Eine starke Passage des Buches ist Gilberts persönliche Rückschau auf ihre Jugend: Wie sie als 16-Jährige all das aufnahm, ohne zu hinterfragen. Wie selbstverständlich es schien, dass Macht für Frauen vor allem mit Jugend, Schönheit und Gefälligkeit zu tun hatte. Ein Eindruck, den mit Sicherheit viele von uns in ihrer Jugend gehabt haben. Dabei macht Gilbert jedoch keine Schuldzuweisungen und betont auch immer wieder, keine „Cancel Culture“ betreiben zu wollen. Sie analysiert vielmehr, wie kulturelle Muster und Mediennarrative unsere Vorstellungen von Weiblichkeit geprägt haben – oft subtil, aber nachhaltig. Und wie sie dazu geführt haben, dass Frauen sich selbst und einander kritisch beäugten, statt Kraft zu haben, gemeinsam etwas zu verändern.

Wie tief diese Rollenbilder saßen, zeigen auch zwei Ikonen der Ära: Britney Spears stand jahrelang unter medialer Dauerbeobachtung – bis sie sich 2007, im grellen Licht der Öffentlichkeit, die Haare abrasierte. Ein Akt der Selbstermächtigung oder ein Schrei nach Hilfe? Wahrscheinlich beides. Und Paris Hilton, Inbegriff des „It-Girls“ der Nullerjahre, sprach jahrelang in einer absichtlich hohen Stimme – ihre echte, tiefere Tonlage offenbarte sie erst viel später in Interviews. Beide Fälle zeigen, wie sehr Weiblichkeit inszeniert und kontrolliert war – und wie schwer es war, daraus auszubrechen.

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Neue Plattformen, alte Probleme.

Auch wenn sich die Popkultur verändert hat, sieht Gilbert viele alte Muster in neuem Gewand. Die Influencer:innen-Ästhetik auf Instagram etwa zeigt makellos gestylte Körper im perfekten Licht – oft unter dem Hashtag #selflove, aber mit Filtern, Retusche und Werbung für Abnehmshakes oder Botox-Behandlungen. Auf TikTok boomen Diättrends wie „What I eat in a day“, die suggerieren, dass Gesundheit messbar und Schönheit gleichbedeutend mit Kontrolle ist.

Gleichzeitig feiern sogenannte Tradwives – junge Frauen, die sich als perfekte Hausfrauen inszenieren – ein Retro-Comeback in Podcasts, Reels und Storytimes: mit Pastellkleid, Schleife im Haar und der Botschaft, dass echte Weiblichkeit sich am besten in Unterordnung zeigt. All das sei, so Gilbert, Ausdruck eines gesellschaftlichen Rückschritts, der durch neue Technologien und Plattformen verstärkt wird. Zwar wird heute mehr über Feminismus gesprochen als je zuvor – doch die vermeintliche Freiheit, anders zu sein, ist oft nur Fassade. Denn wer sich außerhalb der Norm bewegt, riskiert nicht selten Shitstorms, Algorithmus-Abstrafung oder Unsichtbarkeit. Die Bühne mag sich verändert haben – das Drehbuch jedoch ist erschreckend vertraut geblieben.

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Verlernen, verbinden, verändern.

Sophie Gilbert liefert in „Girl vs. Girl“ keine Patentrezepte – aber sie gibt Denkansätze, wie wir uns aus der popkulturellen Falle befreien können. Es beginnt mit dem Bewusstsein dafür, wie sehr unser Selbstbild von Serien, Mode, Musikvideos oder Castingshows geprägt wurde. Wer das erkennt, kann diese Bilder hinterfragen – und verlernen. Ebenso wichtig ist es, neue Narrative zuzulassen: Heute gibt es eine Vielzahl an feministischen Stimmen, queeren Perspektiven und alternativen Schönheitsbildern – von Künstlerinnen wie Doechii über Autorinnen wie Ottessa Moshfegh bis zu Serien, die Frauen nicht idealisieren, sondern in ihrer Widersprüchlichkeit zeigen. Diese Stimmen zu hören, schafft neue Möglichkeiten des Denkens.

Gilbert macht auch deutlich: Die größte Waffe gegen ein System, das Frauen gegeneinander ausspielt, ist echte Verbundenheit. Wenn wir einander nicht länger als Konkurrenz sehen, sondern als Verbündete, entsteht Raum für neue Formen von Stärke – nicht perfekt, aber echt. Und zuletzt braucht es auch Haltung und Gelassenheit: Nicht alles, was uns als Ideal verkauft wird, verdient unsere Zustimmung. Manches dürfen wir einfach ablehnen – mit klarem Blick und ohne schlechtes Gewissen. Denn wenn wir verstehen, woher unser Blick auf uns selbst kommt, können wir auch entscheiden, wie wir ihn verändern wollen.

Girl vs. Girl: Wie die Popkultur der 2000er Frauen gezielt gegeneinander aufbrachte. © Hersteller
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Mehr zur Autorin dieses Beitrags:

Kultur-Redakteurin Tjara-Marie Boine bei der TIROLERIN
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Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.

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