
2015 war ein außerordentlich ereignisreiches Jahr. Die Weltpolitik war vom Krieg im Nahen Osten, der größten Migrationsbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg und der Griechenland-Krise geprägt. Die Schwere dieser Krisen beförderte Frauenpolitik auf das Abstellgleis der politischen Agenda, aber es waren gerade auch Frauen, die diese Zeit besonders mitprägten und ihre besonderen Herausforderungen außerordentlich bemerkenswert bewältigten.
Um diesen Frauen Tribut zu zollen und ihnen die mediale Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihnen gebürt, hat die WIENERIN-Redaktion 10 Frauen ausgewählt, die dieses Jahr in Österreich besonders geprägt haben. Jede davon hat, auf ihre Art und Weise, Außergewöhnliches geschaffen und ein Stück weit auch der Gesellschaft zu mehr Menschlichkeit und Frieden verholfen.

Platz 10
Astrophysikerin Lisa Kaltenegger
WISSENSCHAFT
Die in Kuchl geborene Salzburgerin zählt zu den bekanntesten Astrophysikerin Österreichs. 2010 wurde sie vom renommierten Max Planck Institut ausgezeichnet, mittlerweile unterrichtet sie in Harvard und ist Professorin an der Cornell University.
2015 brachte sie ihr Buch "Sind wir allein im Universum?" heraus und repräsentiert mit ihren Leistungen eine Generation junger, erfolgreicher Wissenschaftlerinnen aus Österreich, die sich in der Männerdomäne behaupten und ein Vorbild für junge Frauen in Österreich sind.
Hinweis: Vollständiges Interview mit Lisa Kaltenegger in der Jänner-Ausgabe der WIENERIN.
Bildcredit: LindaBG, Creative Commons Attribution 4.0 International license

Platz 9
Regisseurin Veronika Franz
KULTUR
Frauen haben es grundsätzlich nicht leicht in der Filmindustrie: In der 86-jährigen Geschichte der Academy Awards hat im Jahr 2010 Kathryn Bigelow als erste Frau einen Regie-Oscar für „The Hurt Locker“ bekommen. Auch in Österreich wird immer wieder Kritik laut, dass Regisseurinnen bei der Vergabe von Fördergeldern diskriminiert werden und generell weniger Anerkennung bekommen. Die "Kurier"-Kolumnistin und Filmemacherin Veronika Franz hält da einiges dagegen: Ihr Film „Ich seh, ich seh“, bei dem sie gemeinsam mit Severin Fiala für Regie und Drehbuch verantwortlich ist, hat schon mehrere Preise bei den Filmfestspielen in Ljubljana, Thessaloniki und Sitges abgeräumt und wird von Österreich als Kandidat für den besten Auslandsoscar ins Rennen geschickt. Sollte der Film nominiert und ausgezeichnet werden, wäre Franz die erste österreichische Oscarpreisträgerin.

Platz 8
Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann
KULTUR
Karin Bergmann übernahm das Wiener Burgtheater in einer schwierigen Zeit – und das ist wohl noch milde ausgedrückt. Nur 2 Jahre später glänzt das Burgtheater durch hochkarätige Inszenierungen und genießt wieder hohes Ansehen in der Theaterwelt.
Das sehen nicht nur wir so: 2015 wurde "die Burg" von den wichtigsten TheaterkritikerInnen im deutsprachigen Raum zum besten Theater des Jahres gewählt (zusätzlich gab es Preise für die beste Inszenierung und die beste Nachwuchsschauspielerin).
Bergmann erwies sich in einer schwierigen Zeit als ruhige und vor allem kompetente Führungskraft und wurde im letzten Jahr endlich auch international dafür belohnt. Bravo!
Bildcredit: Reinhard Werner/Burgtheater - Burgtheater

Platz 7
Flüchtlingsdemo-Organisatorin Nadia Rida
SOZIALES
Was als kleine Idee begann, wurde zu einer der größten Demonstrationen des Jahres (mehr hier). Insgesamt 20.000 Menschen solidarisierten sich mit Flüchtlingen und gingen für Frieden und einen menschlichen Umgang mit Schutzsuchenden auf die Straße.
Ins Leben gerufen wurde diese Bewegung von einer Frau: der Jugendarbeiterin Nadia Rida. Sie wollte mit der Demo ein Zeichen für mehr Menschlichkeit setzen - damit, dass so viele Menschen schlussendlich daran teilnehmen würden, hatte sie selbst am wenigsten gerechnet.
Die Idee zur Demo kam während ihrer Hilfsarbeit in Traiskirchen: "Dabei ist mir bewusst geworden, wie engagiert viele Menschen sind. Dann kam die Idee zur Demonstration", erzählte Rida in einem Interview mit orf.at.
Durch ihren Einsatz wurde das Ausmaß des zivilgesellschaftlichen Engagements und der Unzufriedenheit mit der unmenschlichen Flüchtlingspolitik sichtbar - damit hat sie sich einen Platz unter unseren Frauen des Jahres verdient.

Astrid Knie
Platz 6
Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek
POLITIK
Natürlich könnte man frauenpolitisch immer mehr durchsetzen und wir alle wünschen uns ein schnelleres Voranschreiten der feministischen Agenda, aber wir wollen das Jahresende auch nutzen, um die Erfolge des Jahres 2015 zu feiern. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek war maßgeblich daran beteiligt, dass 2015 das Sexualstrafrecht reformiert und verschärft wurde, und entwürdigende Berührungen von nun an mit bis zu sechs Monaten Haft strafbar sind. Aufgrund der weltpolitischen Lage wurde Frauenpolitik 2015 oft in den Hintergrund gedrängt, obwohl gerade Frauen durch die Geschehnisse in besonders prekäre und gefährliche Situationen gebracht worden sind. Die Ministerin kämpft trotzdem für Gleichberechtigung und Sensibilisierung, 2016 wird auch eine Info-Broschüre zum Thema "Frauen auf der Flucht" herausgegeben.

Platz 5
Sophie & Pollak und Renate Hornstein
von Happy Thank You More Please
SOZIALES
Stellvertretend für alle Flüchtlingshelferinnen, die 2015 ihre ganze Aufmerksamkeit der Hilfe und Betreuung tausender Flüchtlinge gewidmet haben, geht der fünfte Platz an zwei Frauen, die mit ihrer Organisation "happy thank you more please" sehr vielen Flüchtlingen in diesem Jahr Unterstützung geboten haben.
In einem Interview mit der WIENERIN im September sagte Mitgründerin Sophie Pollak: "Wenn man einmal in Traiskirchen war, kann man nicht mehr aufhören, dort hinzufahren und etwas zu tun."
Gemeinsam mit Renate Hornstein (WG-Betreuerin) koordinierten sie und insgesamt 80 freiwillige HelferInnen hunderte Spenden und verteilten sie an diejenigen, die es am meisten brauchten.
Ohne die große Hilfsbereitschaft und Solidarität, die die ÖsterreicherInnen 2015 gezeigt haben, wäre diese Migrationsbewegung wohl kaum zu bewältigen gewesen.

Platz 4
Sonja Hammerschmid, Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz
WISSENSCHAFT
Sonja Hammerschmid ist Molekularbiologin, Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität und seit Dezember 2015 auch die erste Präsidentin der Österreichischen Universitätskonferenz. Damit ist sie die Stimme aller österreichischen Universitäten und eine große Ausnahme zum restlichen wissenschaftlichen Apparat, in dem der Frauenanteil abnimmt, je höher und qualifizierter eine Position ist. Laut Statistik Austria waren im Wintersemester 2014/15 54 Prozent der Studierenden weiblich. Zum Vergleich: Der Anteil an Professorinnen lag im Studienjahr 2013/14 laut Hochschulstatistik nur bei 22 Prozent. Sonja Hammerschmid ist Vorreiterin einer weiblicheren Hochschulwelt.

Platz 3
Autorin Stefanie Sargnagel
KULTUR
Österreichische Popkultur hatte 2015 ein ziemliches Hochjahr, und der Grund warum in all den Artikeln der internationalen Feuilletons auch eine Frau vorkam, war meist die Autorin und Zeichnerin Stefanie Sargnagel. In unserem Porträt, das wir im Zuge der Serie 30 Jahre – 30 Frauen über sie geschrieben haben, haben wir schon von ihrer unverblümten, österreichischen Art geschwärmt, in der sie auch von politischen Themen und Feminismus schreibt, und wir waren nicht die einzigen, die sich 2015 verliebt haben. Durch Aufmacher in Falter, Wiener Zeitung, Presse, Standard, Spiegel, Zeit und Welt wurde Stefanie Sargnagel 2015 zum Inbegriff einer zeitgenössischen Wiener Antiheldin.

Platz 2
Bloggerin Madeleine Alizadeh
MEDIEN
Bloggerin Madeleine alias "Dariadaria" erlangte 2015 österreichweit Popularität, als sie in den sozialen Netzwerken zur Solidarität mit Flüchtlingen aufrief.
Auf ihrem Blog setzte sie sich mit Fremdenfeindlichkeit und politischen Themen auseinander und machte sich ihre Bekanntheit und ihren Einfluss zunutze, um für Flüchtlinge und gegen Hetze mobil zu machen. Sie war sich dabei stets ihrer Rolle als Identifikationsfigur für junge Menschen bewusst.
Ihr Engagement gilt aber nicht nur Flüchtlingen: Alizadeh behandelt auch unbequeme Themen wie Tierschutz und Umweltschutz und prangert immer wieder die schlechten Arbeitsbedingungen in der Modeindustrie an.
Für ihren unermüdlichen Einsatz hat sich Maddie ihren Platz unter unseren Frauen des Jahres ganz oben vollkommen zurecht verdient.
Bildquelle: instagram.com/dariadaria_com

Platz 1
Frauen auf der Flucht
Das Jahr 2015 war politisch wie medial hauptsächlich von einem Thema geprägt: Es war das Jahr der Flucht. Weltweit sind laut UNO mindestens 50 Prozent aller Flüchtlinge Mädchen und Frauen, in Österreich wurden laut Innenministerium ein Viertel aller Asylanträge von Frauen gestellt. Frauen fliehen genau wie Männer vor Gründen wie Krieg, Gewalt und Verfolgung, sind aber zusätzlich noch von spezifischen Menschenrechtsverletzungen wie Vergewaltigung, Genitalverstümmelung, Zwangsprostitution oder Zwangsehe betroffen.
Auf der Flucht selbst sind Frauen denselben Gefahren ausgesetzt, vor denen sie gerade fliehen, und auch in den Zielländern sind Schutzvorkehrungen oft mangelhaft. Schwangere müssen in Situationen akuter Gefahr gebären. In den überfüllten österreichischen Erstaufnahmezentren gab es keinerlei Schutz oder Privatsphäre für besonders hilfsbedürftige Gruppen, um Asyl ansuchende Frauen haben erschwerten Zugang zu Frauenhäusern und auch in der Traumabewältigung nach der Flucht wird nicht ausreichend geholfen.
In Anbetracht der Strapazen und Gefahren, die Frauen auf sich nehmen, um sich, ihre Familie und ihre Kinder in Sicherheit zu bringen, sind sie für die WIENERIN die Frauen des Jahres 2015.