Die Österreicher sind impfmüde. Schuld sind häufig Falschinformationen, so dass sich die Menschen mehr vor den Nebenwirkungen als vor den Krankheiten fürchten. Univ. Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt, Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Med Uni Wien, macht Schluss mit Mythen zum Thema Impfen.
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24.02.2015, 13.02 Uhr

Impfung
Irrtum Nummer 1: Die Grippeimpfung wirkt nicht
Ursula Wiedermann-Schmidt: Könnten Sie da noch etwas dazu schreiben, warum es heuer so viele Grippeerkrankungen gibt und warum die Impfung dennoch Sinn macht?
Prinzipiell muss man zwischen grippalem Infekt und echter Grippe unterscheiden – letzteres wird durch Influenzaviren hervorgerufen und führt zu schweren Atemwegserkrankungen mit hohem Fieber, Kopf-Muskel-und Gelenksschmerzen. Jährlich erkranken zwischen 200.000-600.000 Menschen und es sterben jährlich durchschnittlich 1400 Personen an den Folgen einer Influenza in Österreich. Besonders gefährdet sind chronisch Kranke, kleine Kinder und ältere Menschen, so wie Schwangere und Übergewichtige. Die Grippeimpfung schützt nur vor den Influenzaviren, nicht aber vor vielen anderen Viren, die zu den grippalen Infekten führen.
Die Erwartungshaltung ist aber besonders hoch für die Wirkung der Influenzaimpfung. Sie kann aber insofern nicht erfüllt werden, als die Grippeimpfung eben nur gegen Influenza nicht aber gegen die banalen grippalen Infekte schützt. Darüber hinaus sind die Influenzaviren äußerst mutationsfreudig (d.h. sie können spontan ihre Oberflächenmoleküle ändern) und daher muss jedes Jahr ein neuer Impfstoff produziert werden. In manchen Jahren wie heuer kann es passieren, dass der Impfstoff nicht optimal mit den zirkulierenden Viren übereinstimmt (weil sich die zirkulierenden Viren nach Herstellung des Impfstoffes verändert haben) und die Wirkung reduziert ist. Selbst dann macht es aber Sinn sich impfen zu lassen, denn der Verlauf der Erkrankung kann deutlich gemildert werden und die Übertragung der Viren auf andere Menschen reduziert werden.
Gesundheitsfalle Aluminium?
Masern, Röteln & Co: Impfen hilft

Baby wird geimpft
Irrtum Nummer 2: Heute werden Babys früher und mehr geimpft als vor 30 Jahren und das belastet das Immunsystem der Kinder stark
Ursula Wiedermann-Schmidt: Wenn man die Anzahl der Impfungen aus dem Österreichischen Impfplan von heute mit jenem aus den 80er- oder 90er-Jahren vergleicht, sind es tatsächlich mehr Impfungen. Allerdings sind diese besser gereinigt und viel effizienter als früher. So waren im Impfstoff gegen Keuchhusten früher 3000 Antigene enthalten und heute sind im gesamten 6-fach-Impfstoff (Diphtherie, Tetanus, Pertussis (Keuchhusten), Poliomyelitis (Kinderlähmung), Hepatitis B und Hämophilus influaenzae B), der unter anderem auch die Impfung gegen Keuchhusten enthält, nur 23 Antigene enthalten. Man weiß aber heute, dass diese 23 Antigene dem Immunsystem völlig ausreichen, um einen effizienten Schutz gegen die Erkrankungen aufzubauen.
Man kann auch nicht von einer übermäßigen Belastung des Immunsystems sprechen. Wir sind von Geburt an mit einer große Anzahl an Immunzellen ausgestattet (mit mehr als 10 hoch 11, also > 100 Milliarden, Zellen unterschiedlicher Spezifität), um mit Krankheiten fertig zu werden und auf verschiedene Keime reagieren zu können. Ein Griff von der Sandkiste in den Mund ist ein Kontakt mit Millionen von Keimen, aber damit wird das Immunsystem auch fertig. Und Impfen ist nichts anderes als dieses Repertoire an Zellen, die zur Verfügung stehen, gegen verschiedene Krankheiten fit machen, so dass sie bei Kontakt richtig und schnell reagieren. Das schaffen sie zwar auch, wenn man nicht impft, allerdings dauert es länger bis sie wissen, was zu tun ist bzw. die Erreger abgewehrt haben und bis dahin können die Erkrankungen einen dramatischen Verlauf nehmen.
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Impfung
Irrtum Nummer 3: Wenn mehrere Impfungen gleichzeitig verabreicht werden, kann der Organismus gefährdet werden
Ursula Wiedermann-Schmidt: Werden mehrere Impfungen gleichzeitig verabreicht, wird das Immunsystem deswegen nicht geschwächt und es kann genauso eine effektive Immunantwort aufgebaut werden wie wenn nur eine Impfung gegeben wird. Allerdings kann es häufiger zu lokalen Reaktionen und Fieber kommen. Darüber muss man entsprechend aufklären und es kann bei Bedarf auch zur Einnahme eines ein Fieber senkendes Mittels geraten werden.
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Schwangerschaft
Irrtum Nummer 4: Impfen in der Schwangerschaft ist gefährlich
Ursula Wiedermann-Schmidt: Hier muss man zwischen Tot- und Lebendimpfstoffen unterscheiden. Bei so genannten Totimstoffen, bei denen abgetötete Erreger, oder nur Erregerteile injiziert wird, gibt es keine Bedenken, da die Erreger sich nicht vermehren können. Im Gegenteil: Impfungen gegen Influenza, also Grippe, Keuchhusten und Tetanus zum Beispiel sind sogar sehr wichtig und wenn die Mutter gegen diese noch nicht geimpft ist, kann und soll das auch in der Schwangerschaft gemacht werden, um einerseits die Mutter vor Infektionen in der Schwangerschaft zu schützen, andererseits dem Kind für die ersten Lebensmonate einen guten Nestschutz mitzugeben. Solche Impfungen sollten ungeschützten Schwangeren ab dem 2. Trimenon verabreicht werden. Anders schaut es bei Lebendimpfungen aus, bei denen sich die Impferreger vermehrungsfähig sind, wie zum Beispiel die Masern-Mumps-Rötelnimpfung. Hier gibt es das theoretische Risiko dass die Erreger auf das Kind übertragen werden. Allerdings hat man selbst bei einer Rötelnimpfung, die irrtümlich in der Frühschwangerschaft gegeben wurde, bislang niemals eine Erkrankung des Kindes (Rötelnembryopathie) gesehen. Dennoch, ist die Schwangerschaft bekannt, wird man auch kein theoretisches Risiko eingehen und eine solche Impfung auf die Zeit nach der Geburt verschieben.
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Niesen
Irrtum Nummer 5: Impfungen lösen Erkrankungen, Allergien, Autoimmunerkrankungen oder sogar Autismus aus
Ursula Wiedermann-Schmidt: Diese Befürchtungen sitzen in den Köpfen der Menschen fest. Es gibt aber grosse Metanalysen, die einen Zusammenhang von Impfungen mit derartigen Erkrankungen widerlegen konnten. Bei Autismus und Masernimpfung konnte in zahlreichen Studien keine Korrelation hergestellt werden. Und bei Allergien wurde festgestellt, dass geimpfte Kinder weniger häufig an allergischen Ekzemen, oder allergischen Asthma erkranken.
Gesundheitsfalle Aluminium?
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Impfung
Irrtum Nummer 6: Der Aluminium in den Impfstoffen stellt eine Gefahr für unsere Gesundheit dar
Ursula Wiedermann-Schmidt: Viele Totimpfstoffe enthalten Aluminium als so genannte Adjuvantien, also Verstärker, die dafür sorgen, dass eine effektive Immunantwort aufgebaut werden kann. Zu diesem Zweck wird Aluminium bereits seit fast hundert Jahren eingesetzt. Wenn man wissen möchte, ob dieses unserer Gesundheit schadet, muss man überlegen, wo die häufigsten Quellen sind, über die wir Aluminium zu uns nehmen, und das sind Wasser und Nahrung. Beim Österreichischen Impftag hat Dr. Karin Weißer vom Robert Koch Institut in Deutschland über Aluminium aufgeklärt. Es macht natürlich einen Unterschied, ob Aluminium (in Form von Aluminiumhydoxid) über den Muskel wie bei der Impfung oder über den Magen mit Nahrung aufgenommen. Damit aber mögliche toxische Werte nicht überschritten werden können, hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit den Wert von 1m/kg/Woche für die Aufnahme von Aluminium über Nahrungsmittel oder Trinkwasser festgelegt, der durchschnittlich nicht überschritten wird. Analog ist in den Impfstoffen eine Alummenge von max 1,25 mg pro Dosis von der Europ. Arzneimittelbehörde festgelegt (in den Impfstoffen befinden sich zwischen 0,3-0,8 mg Alum pro Dosis). Ein Großteil von resorbierten Aluminium wird wieder ausgeschieden, nur ca 2% werden im Körper zurückbehalten. Die lebenslange Gesamtbelastung von Aluminium beträgt etwa 35 mg. Die Menge von Aluminium die nach Impfung im Körper zurückbehalten wird, liegt bei etwa 31 Impfungen (die im Laufe des Lebens appliziert werden) bei nur 0,5 mg und die diesbezügliche Belastung ist daher als äußerst gering einzustufen.
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Jucken
Irrtum Nummer 7: Auf Impfungen sind allergische Reaktionen möglich
Ursula Wiedermann-Schmidt: In Impfstoffen befinden sich in ganz geringen Mengen von Eiweisstoffen aus der Produktion oder Konservierungsstoffe. Für allergische (anaphylaktische) Reaktionen kommen vorwiegend nur Hühnerweiss als Produktiosnüberrest in Frage. Der Masern/Mumps/Rötelnimpfstoff oder auch der FSME Impfstoff wird auf Hühnerfibroblasten gezüchtet – da kommt es zu keinen Restmengen von Hühnereiweiß und daher können diese Impfstoffe auch bedenkenlos an Eiweißallergiker verabreicht werden. Auch bei Influenzaimpfstoffen sind die Mengen so gering – außerdem gibt es so viele Arten von Influenzaimpfstoffen, dass man besonders gut verträgliche Impfstoffe bei Allergikern verwenden kann. Einzig die Gelbfieber-Impfung enthält Mengen von bis zu 1,6 mg pro Impfstoff, das könnte bei einem Eiweißallergiker ein reales Risiko bedeuten - aber diese Impfung ist eine Reiseimpfung für bestimmte Regionen und nicht im Österreichischen Impfprogramm enthalten. Bei bestehenden Kontaktallergien gegen Konservierungsmittel wie Thiomersal ist heute kein Thema mehr, weil diese Substanz weitgehend aus allen Impfstoffen entfernt wurde.
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Kind mit Windpocken
Irrtum Nummer 8: Windpocken und Masern sind Kinderkrankheiten, die hat man früher auch bekommen
Ursula Wiedermann-Schmidt: Es gibt jetzt noch Menschen, die diese Meinung vertreten. Aber: Besonders Masern ist alles andere als eine harmlose Erkrankung und kann zu gefürchteten Hirnhautentzündung, auch mit tödlichen Ausgang führen. Treten Krankheiten wie Windpocken (Varicellen) erst später im Leben auf, kann der Verlauf besonders schlimm sein; bei Windpocken besteht darüber hinaus auch die Gefahr, dass diese während einer Schwangerschaft schwere Schäden am ungeborenen Kind verursachen kann. Deswegen sollten alle Personen, wenn sie die Impfungen nicht erhalten haben, ehebaldigst diese Impfungen nachholen.
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HPV-Impfung
Irrtum Nummer 9: Die HPV-Impfung ist unnötig
Ursula Wiedermann-Schmidt: Diese Impfung beugt Krebs vor und ich befürworte jede Möglichkeit, die präventiv gegen Krebs eingesetzt werden kann. Außerdem schützt die Impfung nicht nur zu einem hohen Prozentsatz vor Gebärmutterhalskrebs, sondern auch vor anderen HPV-assoziierten Krebserkrankungen, wie Analkarzinom, Vulavkarzinome aber auch Karzinome im Rachenbereich. Durch weitere zwei Stämme im Impfstoff ist auch ein 90 Prozentiger Schutz vor Geschlechtswarzen gegeben. In vielen Ländern sieht man seit der Einführung der Impfprogramme eine deutlichen Reduktion der Krebsvorstufen, und damit das Risiko zur Krebsentwicklung. Die Impfung ist sehr gut verträglich, auch das haben die vielen Studien gezeigt. Leider gab in Österreich und in Deutschland je einen Todesfall, der in einen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gebracht wurden, aber es konnte kein ursächlicher Zusammenhang nachgewiesen werden. Das ist natürlich ein dramatisches Ereignis, das vielen in Erinnerung geblieben ist. Dennoch ist es wichtig zu wissen, dass das zeitliche gemeinsame Auftreten von derartigen Ereignissen nicht bedeutet, dass die Impfung dies tatsächlich verursacht hat. Das Auftreten von seltenen Krankheiten, ja auch plötzlichen Todesfällen, kommt auch spontan ohne jegliche medizinische Maßnahmen vor, man nennt dies Hintergrundmorbidität. Diese bekannten Hintergrundmorbitäten sind aber nach Einführung der HPV Impfung nicht gestiegen.
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Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt
Die Expertin
Univ. Prof. Dr. Ursula Wiedermann-Schmidt leitet das Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der Med Uni Wien.
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