
Im November 1945 erschienen die Geschichten um Pippi Langstrumpf erstmals als Buch. Pippi wird als Feministin und Anarchistin interpretiert, einige sehen in ihr gar die Begründerin des Punk 40 Jahre vor den Sex Pistols.

Wegen ihrer ungehobelten Art stieß Pippi mit den feuerroten Haaren einigen nach dem Erscheinen im Verlag Raben & Sjögren aber bitter auf. Abnormal und krankhaft findet der angesehene Professor John Landquist Pippi. "Kein normales Kind", kommentiert er in der Zeitung "Aftonbladet", "isst eine ganze Sahnetorte auf oder geht barfuß auf Zucker. Beides erinnert an die Fantasie eines Irren."

Der Bonnier Verlag hatte Lindgren zuvor aus ähnlichen Bedenken eine Absage erteilt. "Ich hatte selbst kleine Kinder und stellte mir mit Entsetzen vor, was passieren würde, wenn sie sich dieses Mädchen zum Vorbild nähmen", gab der Verleger Gerhard Bonnier Jahre nach der Veröffentlichung zu. Er wird sich noch oft die Haare darüber gerauft haben, dass er das Manuskript ablehnte.

Denn Millionen Kinder, erst in Schweden, später in der ganzen Welt, schlossen Pippi auf Anhieb in ihr Herz. Die anarchische Halbwaise wurde zur unumstrittenen Heldin der Kinderzimmer - und ist es bis heute. "Das liegt wohl daran, dass sie so unabhängig von Erwachsenen ist", sagte Lindgrens Tochter Karin Nyman der Deutschen Presse-Agentur im Interview. "Es ist schön für Kinder, über so jemanden zu lesen."

Sie lebt mit Pferd und Äffchen in einer kunterbunten Villa, erfindet Wörter wie Spunk und Spiele wie Nicht-den-Boden-berühren, kauft im Laden 18 Kilo Bonbons und schenkt Einbrechern Goldstücke, während ihre Berufswahl noch zwischen "feine Dame" und "Seeräuber" schwankt: Mit Pippi wird es nie langweilig. Gegen das Großwerden schlucken sie und ihre Freunde Thomas und Annika Krummelus-Pillen, die Erbsen verdächtig ähnlich sehen.

Dass die Schwedin das kleine Mädchen erfand, das Autoritäten infrage stellt und einen eigenen Kopf hat, war wohl auch eine Reaktion auf das Grauen des Zweiten Weltkriegs. "Man kann vielleicht glauben, dass es so eine Art Befreiung war, über jemanden zu schreiben, der sich nicht hat unterdrücken lassen, der diese souveräne Einstellung gegenüber seinen Mitmenschen hatte und sich keinen Deut um Konventionen geschert hat", sagt Nyman.

Ihre literarische Mutter Astrid Lindgren brauchte keine Zauberpillen, um nicht erwachsen zu werden. "Sie hat verstanden, wie es ist, ein Kind zu sein", sagt die schwedische Schauspielerin Inger Nilsson (im Bild), die Pippi in den Verfilmungen spielte, über Lindgren. "An den Büchern kann man sehen, dass sie als Kind selbst glücklich war, und sie liebte Kinder wirklich."